Keine Feindbilder im Reich Gottes

Matthäusevangelium 5, 43–48

Kommentar

Eine Geschichte erzählt von einem Tempel mit tausend Spiegeln.

Ein Hund kommt in den Tempel mit tausend Spiegeln. Als ihm plötzlich tausend Hunde entgegenblicken, bekommt er es mit der Angst zu tun. Sofort beginnt er zu bellen und bissig in die Spiegel zu schauen. Im gleichen Moment blicken ihm tausend bellende Hunde mit bissiger Miene entgegen. Entsetzt verlässt er den Tempel und denkt, die Welt ist schlecht und alle begegnen mir feindlich.

Ein anderer Hund kommt in den Tempel mit tausend Spiegeln. Als ihm plötzlich tausend Hunde entgegenblicken, beginnt er freundlich mit seinem Schweif zu wedeln. In der gleichen Sekunde wedeln ihm tausend Hunde mit freundlichen Blicken entgegen. Entzückt verlässt er den Tempel und denkt, die Welt ist schön und alle sind mir gut gesinnt.

Wie kommt es, dass ein Mensch die Welt ihm eher feindlich gesinnt und ein anderer Mensch die Welt ihm eher freundlich gesinnt erlebt? Beide leben doch in der gleichen Welt und in der gleichen Menschheit.

Jemanden als Feind zu sehen ist Spiegeln von Anteilen meiner Person, die ich an mir nicht mag, die ich hasse, die ich an mir ablehne, die ich von mir abspalte und verdränge. Was ich an anderen nicht mag, das mag ich an mir selber nicht.

Jemanden als Freund zu sehen ist Spiegeln von Anteilen meiner Person, die ich an mir mag, über die ich mich freue, die ich an mir gerne annehme. Was ich an anderen mag, das mag ich an mir selber.

Der Feind sitzt nicht im Außen, sondern in meinem Innen. Solange ich mir selber als Feind begegne, werde ich auch anderen feindlich gegenübertreten. Solange ich Anteile an mir hasse, werde ich auch andere hassen.

Sobald ich mir selber als Freund begegne, werde ich auch anderen freundlich begegnen. Wenn ich mit mir selber in Einheit, in Frieden und Harmonie bin, kann ich auch mit anderen in Einheit, in Frieden und Harmonie sein.

Feindbilder und negative Vorurteile werden oft durch Beeinflussung und Prägung in der Kindheit grundgelegt. Feindbilder werden von religiösen und politischen Fanatikern und Populisten geschürt und verbreitet. Sie lassen nur das eigene Denken und Handeln gelten und alles andere möchten sie am liebsten auslöschen.

Feindbilder werden aufgebaut gegenüber Menschen, die anders aussehen, anders denken, anders leben, gegenüber Menschen aus anderen Völkern und Rassen, mit anderer Muttersprache, anderen Wertvorstellungen, anderer Kultur, anderer Religion, anderer politischer Richtung oder gegenüber Angehörigen von Minderheiten.

Im Reich Gottes gibt es keine Feindbilder. Gott ist vollkommene Einheit, unendlicher Friede und vollendete Harmonie. Gott sieht keines seiner Geschöpfe als Feind. Keinem ist er feindlich gesinnt. Er ist mit allen seinen Geschöpfen in vollkommener Einheit und unendlichem Frieden. In Jesus hat er der Welt sein menschenfreundliches Gesicht gezeigt. Jesus hat sich zu Tisch gesetzt mit Pharisäern und Schriftgelehrten, die ihm feindlich gesinnt waren, und hat mit ihnen gegessen.

Er hat am Kreuz für die, die ihn zu Tode gebracht haben, gebetet.

Wer Gott mit einem Angst einflößenden, zornigen, zürnenden, grimmigen, wütenden und verhassten Blick darstellt, veranschaulicht irgendeinen Gott, aber nicht den grenzenlos gütigen, den Jesus mit seinem Reden und Tun, mit seinem Leben und Sterben der Welt verkündet hat.