Texterläuterung zu Matthäus 8, 28-34

Text: Matthäusevangelium 8, 28–34 - Übersetzung: Hoffnung für alle

28 Als Jesus am anderen Seeufer das Gebiet der Gadarener erreichte, kamen ihm zwei Männer entgegen, die von Dämonen beherrscht wurden. Sie hausten in Grabhöhlen und waren so gefährlich, dass niemand den Weg zu benutzen wagte, der dort entlangführte. 29 'Was willst du von uns, du Sohn Gottes?', fingen sie an zu schreien. 'Bist du gekommen, um uns schon jetzt zu quälen?' 30 In einiger Entfernung wurde eine große Schweineherde gehütet. 31 Die Dämonen baten ihn: 'Wenn du uns schon austreibst, dann lass uns wenigstens in diese Schweineherde fahren!' 32 Jesus befahl ihnen: 'Ja, fort mit euch!' Da verließen die Dämonen die beiden Männer und bemächtigten sich der Tiere. Sofort stürzte die ganze Herde den Abhang hinunter und ertrank im See. 33 Die Schweinehirten ergriffen die Flucht, rannten in die Stadt und erzählten, was sie alles erlebt hatten und was mit den beiden Besessenen passiert war. 34 Nun liefen alle Leute aus der Stadt Jesus entgegen. Sie baten ihn, ihre Gegend wieder zu verlassen.

Texterläuterung

Die Szene spielt 'im Gebiet der Gadarener'. Matthäus nennt diesen Ort, während Markus und Lukas von Gerasa bzw. Gergesene sprechen. Alle drei Bezeichnungen beziehen sich auf die Ostseite des Sees von Galiläa, also auf die Region der Dekapolis, einem Zusammenschluss griechisch geprägter Städte mit stark hellenistischem Einfluss. Diese Gegend war mehrheitlich nichtjüdisch, sowohl kulturell als auch religiös. Das erklärt zwei Besonderheiten der Erzählung: Schweineherden waren dort üblich, während sie im jüdischen Gebiet als unreine Tiere strikt gemieden wurden. Die Begegnung mit Dämonenbesessenen hatte in dieser Grenzlandschaft eine symbolische Kraft: Jesus überschreitet bewusst eine kulturelle und religiöse Grenze. Die Dekapolis war wirtschaftlich aktiv und zugleich politisch instabil. Römische Garnisonen lagen in der Nähe. Die Bevölkerung bestand großteils aus Nichtjuden, einigen Juden und Mischbevölkerung; spirituelle Vorstellungen waren entsprechend vielfältig: von griechischen Göttern und lokalen Kulten bis zu jüdischen Einflüssen. Die im Text erwähnte Grabhöhle war ein realer Ort: An Felsabstürzen standen ausgehauene Felsgräber, die oft außerhalb der Stadt lagen. Sie waren unheimliche Orte, die mit Unreinheit und Tod assoziiert wurden. Wer dort lebte, stand 'außerhalb' der Gemeinschaft.

Matthäus erzählt diese Episode nach der Sturmstillung (8,23-27). Dadurch entsteht eine theologische Dramaturgie: Macht über das Chaos der Natur (Sturm). Macht über das Chaos im Menschen (Dämonen). Kurz darauf: Macht über Krankheit (die Heilung des Gelähmten, 9,1-8).

Matthäus betont im Unterschied zu Markus: Es sind zwei besessene Männer (Markus und Lukas erwähnen nur einen). Diese Verdopplung passt zum Stil des Matthäus: auch zwei Blinde in Jericho (Mt 20,30), zwei Zeugen nötig nach jüdischem Recht - damit wird die Tat Jesu rechtlich 'beglaubigt'.

'Besessene': Im antiken Verständnis bedeutet dies nicht einfach psychische Krankheit, sondern die Vorstellung, dass eine fremde Macht den Menschen beherrscht. Die Symptome - Gewalt, Isolation, Angst - entsprechen jedoch oft dem, was wir heute als schwere Traumata oder psychische Leidenszustände beschreiben würden.

'Abgrund' / 'Hinabstürzen der Schweineherde': Das Ertrinken der Tiere verweist symbolisch auf den Abgrund (Abyssos), den Ort der chaotischen Mächte. In der jüdischen Tradition ist das Meer der Ort des Chaos und der Dämonen.

Markus schildert in einer ausfürlichen Version einen einzelnen Mann, dessen Leiden drastischer dargestellt wird: Er schlägt sich selbst, niemand kann ihn binden. Seine Heilung wird zu einer großartigen Befreiungserfahrung, und der Mann wird zum ersten Missionar in der Dekapolis.

Lukas folgt Markus weitgehend, betont aber: die Heilung als Wiederherstellung der Würde ('er saß zu Jesu Füßen, bekleidet und bei klarem Verstand'), und Jesu Auftrag: 'Geh heim und erzähle ... was Gott an dir getan hat.'

Matthäus erzählt von zwei Männer. Seine Darstellung ist kürzer. Der Fokus liegt nicht auf der Heilung selbst, sondern auf Jesu souveräner Autorität und der ablehnenden Reaktion der Bevölkerung.

Mehrere alttestamentliche Motive fließen ein: Grabhöhlen, Wüstenorte und verlassene Plätze sind die Lebensräume dämonischer Mächte (Jes 13,21; 34,14). Die beiden Männer, die in Grabhöhlen leben, befinden sich also in einer Todeszone, fern jeder Gemeinschaft. In der alttestamentlichen Vorstellung wohnen die Mächte der Finsternis im Meer (Gen 1,2; Ps 74,13-14). Dass die Dämonen in den See fahren, entspricht dem Motiv der Rückkehr der Chaosmächte in den Abgrund. Jesaja 35 und 61 beschreiben, dass in der kommenden Heilszeit Fesseln gelöst und Menschen aus Bindungen entlassen werden. Jesu Handeln erfüllt diese Erwartungen: Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören' - und Gefesselte werden frei. Psalm 91 spricht von Befreiung vor 'Schrecken der Nacht' und vor 'Verderben'. Die Evangelien zeigen Jesus als den, der diese Mächte konfrontiert und überwindet.