Texterläuterung zu Matthäus 6, 22–23
Text: Matthäusevangelium 6, 22–23 - Übersetzung dem griechischen Urtext nahe
22 Die Lampe des Leibes ist das Auge. Wenn also dein Auge gesund ist, wird dein ganzer Leib voller Licht sein; 23 wenn aber dein Auge krank ist, wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn also das Licht in dir Finsternis ist, wie groß ist die Finsternis!
Texterläuterung
Diese zwei Bibelverse gehören zur Bergpredigt Jesu, die nach Mt 5-7 in Galiläa lokalisiert ist, wahrscheinlich in der Nähe des Sees Genezareth. Die Zuhörer waren überwiegend Landbevölkerung, Handwerker, Fischer und Frauen, die vertraut waren mit alltäglichen Bildern wie Licht, Lampen, Häusern und Körperteilen. In der antiken jüdischen Welt galt das Auge nicht nur als Sinnesorgan, sondern als ein geistliches Fenster, das sowohl empfängt als auch ausstrahlt. Man glaubte, das Auge könne den inneren Zustand eines Menschen verraten - ob er gütig, neidisch, geizig, rein oder unrein ist. Diese Vorstellung findet man sowohl im Judentum als auch in der griechisch-römischen Umwelt.
Diese Verse stehen eingebettet in einen größeren Abschnitt über Werte, Besitz und Ausrichtung des Menschen: davor: Schätze im Himmel sammeln statt auf Erden (6,19-21), danach: Niemand kann zwei Herren dienen (Gott und Mammon, 6,24). Das 'Auge' bildet die Brücke zwischen diesen beiden Themen: Das Herz (6,21) zeigt, wo der wahre Schatz liegt. Das Auge (6,22-23) zeigt, worauf der Mensch blickt - welche Richtung er einschlägt. Der Dienst (6,24) zeigt, welcher Macht man de facto folgt. Der Blick entscheidet über den Weg, wie ein Kompass.
'Lauteres Auge': wörtlich: 'einfach', 'ungeteilt', 'klar', 'großzügig', im jüdischen Sprachgebrauch: ein großzügiges, gütiges Auge, frei von Neid und Habgier.
'Böses Auge': im Judentum und Mittelmeerraum: ein neidisches, geiziges, missgünstiges Auge, kann auch 'zersplittert', 'abgelenkt', 'verdunkelt' bedeuten, ein innerlich gespaltenes Herz, das vom Besitz fixiert oder von Begierde getrieben ist. Das Auge ist ein Bild für die Ausrichtung des Lebens.
'ganzer Leib': Gemeint ist der ganze Mensch - sein Denken, Fühlen, Wollen. Die Blickrichtung prägt den gesamten inneren Zustand.
Der Blick prägt die Seele. Was der Mensch begehrt, wonach er strebt, worauf er fixiert ist, bestimmt sein Inneres. Der Mensch braucht ein ungeteiltes Herz. Das 'lauter' ausgerichtete Auge ist Bild für eine innerlich ungespaltene Beziehung zu Gott. Habgier und Neid verdunkeln das Innere. Ein 'böses Auge' macht blind für das Wesentliche, für Mitmenschen und für Gott.
Matthäus 6, 22-23 gehört zu Jesu eindringlichsten Worten über die innere Integrität des Menschen.