Durch Jesus lösen sich die Zungen

Matthäusevangelium 9, 32-34

Zwei Fragen interessieren uns mächtig:

1. Was lässt Menschen verstummen?

2. Was hat Jesus mit Stummen gemacht, dass sich ihre Zunge gelöst hat?

Stummheit kann viele Ursachen haben. Sie kann angeboren sein, ausgelöst durch einen genetischen Defekt. Sie kann eine Folge psychischer Einflüsse sein. Sie kann körperliche Faktoren haben wie etwa Fehlen oder Beschädigung der Stimmbänder. Sie kann auch die Folge von frühkindlicher Taubheit sein, so dass die Sprachentwicklung ausbleibt.

Uns geht es hier um das Stummsein im übertragenen, ganzheitlichen Sinn. Da hat ein Mensch zwar seine Stimme und die Fähigkeit des Sprechens, aber er ist beeinträchtigt sich zu äußern und sich mitzuteilen.

In einem Fachartikel lasen wir einmal den Brief eines jungen Menschen an eine Psychologin: "Wenn ich so über mich selbst nachdenke, denke ich manchmal, dass ich ein ziemlich komischer Mensch bin. Ich bin ein sehr ruhiger, stiller Mensch und komme meistens nicht so wirklich aus mir heraus. Manchmal wünschte ich wirklich etwas lockerer zu sein - nicht so viel Angst zu haben und offener für alles zu sein. Praktisch ein ganz anderer Mensch zu sein ... Das wirkt sich auch irgendwie auf meine Freizeit aus - bin nicht gerne unter Leuten - klar, als stiller, ruhiger Typ ... und eine richtige Beziehung hatte ich auch noch nicht, obwohl ich es mir so sehr wünsche. Da ist das Problem auch wieder - auf jemanden zugehen! Dazu fehlt mir der Mut. Mein Problem ist, dass ich viel zu verschlossen bin - und das möchte ich ändern, aber ich weiß einfach nicht wie. Wo ist der Schlüssel?"

Diesem jungen Menschen geht es so wie vielen. Er verkriecht sich in sich selbst, ist wie von einer unsichtbaren Fessel gebunden und kann nicht aus sich heraus. Das zeigt sich in seiner mangelnden oder fehlenden Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit. Oder er tut sich schwer oder kann es gar nicht, anderen gegenüber Gefühle oder Wünsche auszusprechen oder über etwas zu reden, was ihn bedrückt und traurig stimmt, worunter er leidet, was ihm schwer auf seiner Seele liegt.

Verschlossenheit und Verstummen ist kein Schicksal, sondern hat eine Vorgeschichte. Die Ursachen liegen oft weit zurück, oft sind sie in bestimmten Prägungen in der Zeit des Aufwachsens begründet. Wenn jemandem in seiner Kindheit und Jugendzeit das geeignete Klima fehlt, wird er unfrei und unsicher, innerlich ängstlich und in sich gefangen, gehemmt und blockiert, verschlossen und in sich gekrümmt. Er lernt nicht, sich zu ent-falten, sich zu ent-wickeln und ein offener Mensch zu werden. Es kann sein, dass in der Herkunftsfamilie offenes miteinander Reden, Konflikte ansprechen und im guten Gespräch lösen, Gefühle und Wünsche aussprechen nicht stattgefunden hat. Oder jemand bekam als Kind häufig zu hören "halt deinen Mund!", "sei still!", "das sagt man nicht!", "darüber spricht man nicht!", und wurde auf diese Weise immer wieder zum Schweigen gebracht und mundtot gemacht.

Jesus schenkte dem Stummen ungeteiltes Augenmerk, nahm sich Zeit für ihn und ging ganz persönlich auf ihn ein. Er teilte ihm auf diese Weise Aufmerksamkeit, Beachtung, Interesse und Wertschätzung mit und sagte ihm ohne Worte: Du bist mir wichtig. Deine Not, dein Leiden lassen mich nicht kalt, sondern berühren mich, rühren an mein Herz.

Jesus hat für den Stummen ein Klima des Vertrauens, der Nähe, der Wärme, des Angenommenseins, der Aufmerksamkeit, der Beachtung, des Interesses und der Wertschätzung geschaffen, Voraussetzungen also, dass der Verschlossene zu Selbstvertrauen finden und von da an lernen konnte sich zu öffnen.

Jesus sagt uns: Folgt mir nach! Lernt von mir und "heilt" die "Stummen", die euch begegnen!