Schrei
© Foto: iStock; Schrei

Klicke auf das Bild, um es zu vergrößern!

Ich weiß nicht mehr, wann es begann.
Irgendwann war da diese Stimme -
und dann noch eine -
und irgendwann war keine davon mehr meine.

Ich hab geschrien,
nicht, weil ich jemandem schaden wollte.
Ich hab geschrien,
weil ich sonst verschwunden wäre.
Ganz.

Sie nannten mich 'besessen'.
'Unheimlich'.
'Gefährlich'.
Niemand schaute mir mehr in die Augen.
Auch nicht die, die mich einmal geliebt hatten.

Ich lebte bei den Gräbern.
Zwischen den Toten -
weil ich zu den Lebenden nicht mehr gehörte.
Oder weil sie das dachten.
Ich war mehr Schatten als Mensch.

Und dann kam er.
Jesus.
Er ging nicht weg.
Er schaute mich an -
und plötzlich war ich da.
Ich.
Mit all dem Schmerz. Mit all der Wut.
Aber auch mit einem Funken Hoffnung.

Er hat nicht gefragt,
was ich verbrochen habe.
Nicht, warum ich so laut war.
Nicht, wie tief ich gefallen bin.

Er sprach -
nicht laut, nicht schrill,
aber so klar,
dass das Dunkel in mir gezittert hat.

Und dann:
Stille.
Wie nach einem Sturm.
Ich wusste:
Ich bin frei.

Und die anderen?
Sie hatten Angst.
Nicht vor mir -
vor ihm.
Sie wollten ihn wegschicken.

Aber ich -
ich wollte nur bleiben.
In diesem Frieden.
In diesem neuen Anfang.

Ich war nicht mehr ich.
Jetzt bin ich es wieder.
Oder vielleicht zum ersten Mal ganz.

Schreie nach Liebe

Text: Matthäusevangelium 8, 28–34 - Übersetzung: Hoffnung für alle

28 Als Jesus am anderen Seeufer das Gebiet der Gadarener erreichte, kamen ihm zwei Männer entgegen, die von Dämonen beherrscht wurden. Sie hausten in Grabhöhlen und waren so gefährlich, dass niemand den Weg zu benutzen wagte, der dort entlangführte. 29 'Was willst du von uns, du Sohn Gottes?', fingen sie an zu schreien. 'Bist du gekommen, um uns schon jetzt zu quälen?' 30 In einiger Entfernung wurde eine große Schweineherde gehütet. 31 Die Dämonen baten ihn: 'Wenn du uns schon austreibst, dann lass uns wenigstens in diese Schweineherde fahren!' 32 Jesus befahl ihnen: 'Ja, fort mit euch!' Da verließen die Dämonen die beiden Männer und bemächtigten sich der Tiere. Sofort stürzte die ganze Herde den Abhang hinunter und ertrank im See. 33 Die Schweinehirten ergriffen die Flucht, rannten in die Stadt und erzählten, was sie alles erlebt hatten und was mit den beiden Besessenen passiert war. 34 Nun liefen alle Leute aus der Stadt Jesus entgegen. Sie baten ihn, ihre Gegend wieder zu verlassen.

Gottes Wort ist uns Orientierung

In den Parallelstellen des Markus- und Lukasevangeliums ist jeweils von einem einzigen von Dämonen Besessenen die Rede. Der Verfasser des Matthäusevangeliums erzählt von zweien. Er hat sein Evangelium für Judenchristen verfasst. Judenchristen gehörten zuerst der jüdischen Religion an und wechselten zum Glauben an Jesus. Im Judenland war es gesetzlich vorgesehen, dass eine Sache von zwei männlichen Zeugen bestätigt werden musste, um Glaubwürdigkeit zu erlangen. Dieser Umstand erklärt, dass der Autor des Matthäusevangeliums zwei Besessene auftreten lässt. Sie bezeugen ihre Befreiung von Schattenmächten.

Was ist passiert im Leben der beiden vom paradiesischen Zustand im Mutterleib bis zum höllischen, teuflischen Zustand in den Grabhöhlen? Was ist alles vorgefallen? Was fehlt ihnen? Worunter leiden sie? Die zwei schreien. Was schreien sie? Im konkreten Fall sieht ihr Schreien oberflächlich nach fürchterlicher, schreckenerregender Wut und Aggression aus. Menschen machen einen Bogen um sie. Wahrscheinlich ist den beiden selbst die Ursache, der Grund ihrer Schreie gar nicht bewusst. Was schreit aus ihnen? Ihre Seele schreit. Ihre Seele ist ein einziger Schrei. Ein einziger Schrei nach Liebe. Es ist unmöglich nur annähernd alles zu beschreiben, was Mangel an Liebe und Fehlen der Liebe in Menschen hervorrufen, auslösen und bewirken kann.

Damals wurde das Verhalten der beiden dämonische Besessenheit bezeichnet. Der Teufel sei in sie gefahren und beherrsche sie. Sie seien ihm völlig ausgeliefert. Er mache sie verrückt, treibe sie in den Wahnsinn und zerstöre ihre Person. Möglicherweise könne ein Exorzist ihnen den Teufel oder die Teufel austreiben. Heute nennt die Psychologie diese Symptome eine schwere seelische Krankheit. Für ihre Behandlung sind Psychotherapeuten und Psychoanalytiker zuständig.

Der letzte Teil dieser Begebenheit in Gadara klingt ganz nach Magie in der Art eines Teufelsmärchens oder einer Teufelssage. Ein Stärkerer weist die Dämonen in Schranken, treibt sie aus den beiden Menschen aus und lässt sie in eine Schweineherde fahren, die sich in der Folge in den See stürzt und ertrinkt. Das ist bildhafte Ausschmückung. Real hat sich dieser Vorfall so nicht abgespielt.

Die Evangelien weisen Jesus von Nazareth aus als Stärkeren über alle lebensverneinenden, zerstörerischen, destruktiven 'Mächte'. Jesus ist weder Exorzist noch Psychotherapeut noch Psychoanalytiker. Jesus ist die Mensch gewordene Liebe, Güte, Barmherzigkeit, Empathie, Sanftmut Gottes. Sie ist stärker als alles, sie ist allmächtig. Sie hat unendliche Strahlkraft, sie hat grenzenlose Heilkraft. Bei Jesus finden alle Schreie und alle Sehnsüchte nach Liebe ein gutes Ende.