Kommentar zu Lukas 19, 1-10

Nur der Evangelist Lukas überliefert die Zachäusgeschichte.

Die Stadt Jericho liegt etwa zehn Kilometer nördlich des Toten Meeres in der Jordansenke und diente wegen ihres wärmeren Klimas den Herrschern Jerusalems als Aufenthaltsort im Winter. Jericho war Handelsstadt am Kreuzungspunkt der Nord-Süd-Verbindung von Galiläa zur Arabischen Wüste und der Ost-West-Verbindung über den Jordan. Viele Händler zogen durch diese Stadt. Von ihrer Lage her war die Stadt Jericho ein wichtiger und für die Zolleinheber sehr einträglicher Zollplatz.

Die Einhebung der Einfuhr- Ausfuhr- und Durchgangszölle wurde in den römischen Provinzen an einheimische Bestbieter verpachtet. Die Höhe der Pachtsumme, die ein Zollpächter den Römern abzuliefern hatte, war genau festgelegt. Diese Summe musste er den Römern aus eigener Tasche vorschießen. Mit seinen selber festgelegten Zolltarifen konnte er dann selber bestimmen, wie er zu seinem Geld kam. Überzogene Steuern, Korruption und Betrug waren deshalb an den römischen Zollstellen an der Tagesordnung. Ein leitender Zollpächter - der "oberste Zollpächter" - hat die Zollpacht mit mehreren Teilhabern erworben. Gemeinsam mit ihnen musste er die von Rom vorgeschriebene Summe aufbringen. Und gemeinsam mit ihnen war er an möglichst hohen Gewinnen interessiert. Zollstätten gab es an Brücken, Straßenkreuzungen und Marktplätzen. Zolleinheber wirtschafteten in der Regel ohne soziale Rücksichten in ihre eigenen Taschen. Weil sie mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiteten, galten sie als nationale Verräter. Sie wurden vom jüdischen Volk ebenso gefürchtet und verachtet wie die römischen Besatzer selber. Weil sie nicht nach den religiösen Geboten lebten, wurden sie von den Amtsträgern der jüdischen Religion zu öffentlichen Sündern und wegen ihres Umgangs mit Nichtjuden zu Unreinen vor Gott gestempelt. Damit wurden sie vom Gottesdienst ausgeschlossen. Damit waren sie aber auch von der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen. Nach jüdischer Auffassung hatten sie kein Anrecht auf Gottes Heil - auf seine Güte und Liebe. Religiös und gesellschaftlich standen sie also im Abseits.

Der Maulbeerfeigenbaum (ficus sycomorus) ist ein Laubbaum, der bis zu fünfzehn Meter hoch wird und einen bis zu fünf Meter dicken Stamm und eine große ausladende Krone hat.

Zachäus ist nicht nur wegen seiner kleinen Gestalt, um Jesus besser sehen zu können, sondern auch, um sich vor den Leuten zu verstecken, auf den Baum geklettert.

"Hinaufschauen" heißt im Griechischen "anablépe-in". "Anablépe-in" hat auch eine übertragene Bedeutung: zum Himmel hinaufschauen. Jesus schaute zu Zachäus hinauf. Damit kommt zum Ausdruck: Jesus hat Zachäus mit den liebenden, barmherzigen Augen Gottes angeschaut. Er hat im Antlitz des Zachäus das Abbild, das Spiegelbild Gottes gesehen.

Um Diebstahl, Betrug und Ausbeutung wieder gut zu machen, war im jüdischen Gesetz festgelegt, dem Geschädigten die Schadenssumme plus einem Fünftel der Schadenssumme zurückzugeben. Wer dem entsprach, hatte damit seine Schuld getilgt. Um ein deutliches Zeichen seiner Umkehr zu setzen, versprach Zachäus als Wiedergutmachung viel mehr, als das Gesetz von ihm verlangte. Jüdische religiöse Gesetzeslehrer hielten die Zolleinheber für unbekehrbar.

Lukas erzählt sieben Ereignisse aus dem Leben Jesu, in denen Menschen "heute" Heil geschenkt wurde. Heute bedeutet hier und jetzt, nicht erst irgendwann später.

"Sohn Abrahams" war im jüdischen Volk eine Bezeichnung für die Zugehörigkeit eines Menschen zum Volk Gottes.

"Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist": Dieser Satz bringt den Auftrag des himmlischen Vaters an seinen Sohn Jesus von Nazareth auf den Punkt. Wenn Jesus von sich selber sprach, nannte er sich fast ausschließlich "Menschensohn" und sprach in der 3. Person von sich. Etwa 50 verschiedene Namen und Titel stehen für Jesus im Neuen Testament, wie z. B. Christus (hebräisch: Messias, deutsch: der Gesalbte), Kyrios (deutsch: Herr) und Sohn Gottes. Sie sind Ausdruck der vielen Bilder, die sich seine Zeitgenossen und auch die Nachwelt von ihm gebildet haben. Jesus hat nur einen Namen für sich verwendet und der lautet "Menschensohn". "Menschensohn" kommt aus der jüdischen Religion. Schon hier ist der Begriff mehrdeutig. Menschensohn kann für das Volk Israel stehen; es kann der endzeitliche Retter Israels sein, der Heilskönig der Endzeit oder ein Himmels- bzw. Engelswesen; es kann eine endzeitliche Richtergestalt sein; schließlich lässt es der damalige jüdische Sprachgebrauch zu, dass Menschensohn eine Bezeichnung für den Menschen schlechthin ist. Das Neue Testament enthält die Bezeichnung Menschensohn 83 Mal. Was meinte Jesus damit, wenn er sich Menschensohn nannte? Jesus hat es vermieden, sich Messias zu nennen. Denn er war ein ganz anderer Messias, als das israelitische Volk erwartet hat. Erwartet wurde ein mächtiger Herrscher-Messias. Jesus aber ist der Messias, der von Macht im Sinne von Herrschen und Gewalt nichts hält, sondern einzig auf die Macht der Liebe und Menschlichkeit setzt. Jesus bezeichnete mit dem Wort "Menschensohn" wohl den Messias, aber den Messias der Liebe und Menschlichkeit.