Die Witwe Nora aus Naïn erzählt zehn Jahre nach dem Sterben ihres Mannes Noam

Lukasevangelium 7, 11–17: Wortgetreue Übersetzung aus dem griechischen Urtext

11 Und es geschah in der folgenden: Er kam in eine Stadt, genannt Nain, und kamen mit ihm seine Jünger und eine zahlreiche Menge.

Naïn liegt knapp 20 km südwestlich vom See Genezareth und 7 km südwestlich vom Berg Tabor entfernt, in einer bergigen Region, an der südlichen Grenze Galiläas zu Samarien.

12 Als aber er sich näherte dem Tor der Stadt, und siehe, hinausgetragen wurde tot einziggeborene Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe, und eine zahlreiche Menge aus der Stadt war mit ihr. 13 Und gesehen habend sie, der Herr empfand Erbarmen mit ihr und sagte zu ihr: Nicht weine! 14 Und hinzugetreten, berührte er die Bahre; und die Tragenden blieben stehen, und er sagte: Jüngling, dir sage ich, stehe auf! 15 Und auf setzte sich der Tote und begann zu reden, und er gab ihn seiner Mutter. 15 Und auf setzte sich der Tote und begann zu reden, und er gab ihn seiner Mutter. 16 Ergriff aber Furcht alle, und sie priesen Gott, sagend: Ein großer Prophet ist aufgestanden unter uns, und: Besucht hat Gott sein Volk. 17 Und aus ging diese Kunde in ganz Judäa von ihm und dem ganzen Umland.

Die Witwe Nora aus Naïn erzählt zehn Jahre nach dem Sterben ihres Mannes Noam

"Im allzu frühen Sterben meines Mannes nahm meine Not und der 'Lebensverlust'' unseres Sohnes Daniel ihren Ausgang. Als Noam starb, war ich vierundzwanzig und Daniel - ein Einzelkind - war neun. In der Folge quälte mich neben meiner Trauer unbeschreibliche Existenzangst. Innerhalb der Männergesellschaft unseres Landes war eine Witwe wirtschaftlich, sozial und rechtlich stark benachteiligt. Damals gab es bei uns weder Witwen- noch Waisenpensionen noch irgendwelche Sozialhilfen. Unzählige Tränen flossen über meine Wangen. Viele Nächte blieb ich schlaflos. Ja, ich stand öfter am Rande der Verzweiflung.

Meine Not blieb Daniel nicht verborgen. Er sah meine Tränen und spürte meinen Schmerz und meine Ängste. Er tröstete mich, umarmte mich und sagte mir manchmal: 'Mama, mach dir keine Sorgen. Du hast doch mich.' Von mir bekam er oft zu hören: 'Du bist mein Ein und Alles. Nachdem dein Vater tot ist, setze ich meine ganze Hoffnung auf dich, dass du nie von mir weggehst und eines Tages für uns beide sorgen wirst.'

Ohne dass es mir bewusst war, setzte ich Daniel durch meine Worte, mein Verhalten und meine versteckten und offenen Erwartungen an ihn massiv unter Druck und trieb ihn in eine fatale, lähmende Abhängigkeit.

Obwohl ich das nicht wollte, hielt ich meinen Sohn fest, ließ ihn nicht gehen. Er konnte nicht unbeschwert aufwachsen. Ich ließ ihn nicht leben, indem ich ihn mit meinen Erwartungen erdrückte, an Stelle meines verstorbenen Mannes für mich zu sorgen. Im Laufe der nächsten Jahre fiel er in eine tiefe Depression, verlor seine Lebensfreude und geriet in die Nähe des Suizids.

Zu dieser Zeit lernte ich Jesus kennen. Ihm eilte der Ruf voraus, ein wunderbarer Zuhörer zu sein und Menschen mit seinem großen Einfühlen und Verstehen, mit seiner Wertschätzung und Menschenfreundlichkeit gut begleiten zu können.

Eines Tages lud ich Jesus zu uns ein. Er nahm sich für uns viel Zeit. Wiederholte Male besuchte er uns. Wir konnten mit ihm über alles reden, was uns bewegte. Ich konnte bei ihm weinen und traurig sein.

Durch seinen behutsamen Umgang mit mir und Daniel wurde mir nach und nach klar, dass die Ursache für die 'tödliche' seelische Erkrankung meines Sohnes meine Umklammerung war.

Mit und durch Jesus lernte ich meinen Sohn loszulassen. Mit und durch Jesus lernte Daniel, sich aus meiner Umklammerung zu lösen.

Wie Daniel durch einen langen Zeitraum in die Depression hineinfiel, brauchte er auch einen ebenso langen Zeitraum wieder herauszukommen.

Daniel war wie lebend tot, durch Jesus stand er auf zum neuen Leben.

Spät aber doch - ich von ihm und er von mir - losgelöst, konnten wir uns die weitere Zeit unseres Lebens in neuer Weise begegnen.'

Jesus und die biblischen Schriftsteller sind Orientalen. Sie denken ganzheitlich und in Bildern. Für sie bedeutet Tot sein nicht nur das biologische Lebensende, sondern im übertragenen Sinn die vielen 'Formen des Todes' zu Lebzeiten, das lebend Tot sein, das lebend wie in einem Grab sein.

Jesus sagte zu dem jungen Mann: Steh auf!
Auch diese Worte sind ganzheitlich zu verstehen und richten sich an jeden Menschen.

Steh auf ! Du hast die Kraft dazu. Wähle das Leben! Lerne herauszusteigen aus den 'Gräbern', die du dir selbst geschaufelt hast und andere dir gegraben haben. Deine Gräber sind alles, was dein Leben lähmt und blockiert, was dein Leben verdunkelt, einengt und beklemmt, was dich einsam, gefühllos und gleichgültig macht, was dich innerlich erfrieren lässt, was dir Ausblick und Orientierung, Hoffnung und Zuversicht nimmt.

Steh auf ! Du kannst es. Wähle das Leben! Lerne die 'Gefängnisse' zu verlassen, in die du dich selbst eingesperrt hast und andere dich eingeschlossen haben. Deine Gefängnisse sind die Normen, Zwänge und Kontrollen, alles, was dich unfrei macht, selbst zu sein, selbst zu denken, selbst zu reden, selbst zu handeln, eigene Entscheidungen zu treffen. Dein Gefängnis bedeutet, nicht selbst zu leben, sondern von außen gelebt und gelenkt zu werden, hörig und fremdbestimmt zu sein, wie eine Marionette am Schnürchen gegängelt zu werden. Gefängnisse sind alle deine Abhängigkeiten, das heißt, wenn du die Kontrolle über dich verlierst.

Steh auf ! Du bist dazu imstande. Wähle das Leben! Lerne den 'Ballast' abzuwerfen, den du dir aufgeladen hast und dir von anderen hast aufpacken lassen! Ballast ist alles Überflüssige, was du nicht brauchst, was dich zu Boden drückt, was dein Leben unnötig schwer macht.

Steh auf ! Du schaffst es. Wähle das Leben! Lerne die 'Mauern' abzutragen, die du zu dir selbst und zu anderen errichtet hast. Mauern sind alles, was dich hindert, zu dir selbst und zu anderen zu finden.

Steh auf ! Du bist dazu in der Lage. Wähle das Leben! Lerne dich von den Selbstvorwürfen und Selbstverurteilungen durch deinen 'inneren Richter' und von den Anklagen und Schuldsprüchen durch andere abzuwenden. Sie verlangen von dir frei von Fehlern und perfekt zu sein. Lerne dich gern zu haben, so wie du bist, dich mit deiner Unvollkommenheit zu befreunden, auch deine dunklen Seiten anzunehmen und zu bejahen und hinter ihnen verborgene Schätze zu entdecken.

Aufstehen, sich aufrichten, das Leben wählen, zur Lebensfülle gelangen ist keine Angelegenheit für einen Sonntagsspaziergang, sondern ein Lern- und Reifungsprozess ein Leben lang und über dieses Leben hinaus. Gott gibt uns die Zeit dazu.