Das Reich Gottes ist inwendig in euch

Text: Lukasevangelium 17, 20–21 - Übersetzung: Luther Bibel 1545

20 Da er (= Jesus) aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: dort ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.

Worte des Lebens für euch

Viele Bibelübersetzungen übersetzen: 'Das Reich Gottes ist mitten unter euch.' Das kann nicht stimmen. Würde nämlich Jesus sich mit dem Reich Gottes selbst meinen, dann würde er sagen 'Das Reich Gottes ist da, wo ich bin, jetzt bin ich mitten unter euch.' Für Jesus ist Reich Gottes ein anderer Name für Gott. Die alte Luther Bibel übersetzt den griechischen Text wortgetreu mit 'Das Reich Gottes ist inwendig in euch.' Mit anderen Worten: 'Gott ist inwendig in euch. Mein Abba-Gott, der unendlich mütterlich und väterlich Liebende und Gütige, der bedingungslos Barmherzige und Vergebende, der grenzenlos Sanftmütige, Gewaltfreie und Friedvolle ist in euch, in euren Herzen.'

Wer sich bewusst macht und darauf vertrauen lernt, dass der unendlich liebende Abba-Gott Jesu die Mitte seines Herzens, seiner Seele, seiner Person ist, wird eine Verwandlung in seinem Inneren erfahren, die nach außen wirkt in seinem Denken, Reden und Tun und die Welt verändert. Dann wird sein Herz zu einer Quelle werden, aus der Güte, Barmherzigkeit, Vergebung, Sanftmut, Gewaltfreiheit und Frieden strömen.

Wie Gott durch Jesus Menschen verändert, erzählt Leo Tolstoi in seiner Geschichte vom 'Schuster Martin'.

Es war einmal ein armer Schuster, der hieß Martin und lebte in einem Keller. Durch das kleine Kellerfenster konnte er die Menschen sehen, die draußen auf der Straße vorübergingen. Zwar sah er nur ihre Füße, doch erkannte er jeden an seinen Schuhen. Fast alle diese Schuhe hatte er schon ein- oder zweimal in seinen Händen gehabt. Schon seit vielen Jahren arbeitete Martin in dem Keller, der ihm zugleich Werkstatt und Wohnung war. Von morgens bis abends schnitt er Leder zurecht, nagelte neue Sohlen auf die Schuhe oder nähte einen Flicken auf eine geplatzte Naht. Die Leute kamen gern zu Martin, denn er machte seine Arbeit gut und verlangte nicht zu viel Geld dafür, sie nannten ihn 'Vater Martin'.

Vater Martin hatte ein schweres Schicksal. Seine Frau war früh gestorben, er zog den kleinen Sohn dann alleine auf. Aber als er gerade alt genug war, seinem Vater zu helfen, starb er am Fieber. Vater Martin war verbittert und wollte von Gott nichts mehr wissen. Da sagte ein alter Mann, dem er sein Leid klagte zu ihm: 'Du wirst erst wieder froh sein, wenn du mit Gott lebst. Kauf dir eine Bibel und lies darin!' Vater Martin folgte dem Rat.

Wenn nun der Abend kam und es draußen dunkel wurde, zündete Martin die Lampe an und las in der Bibel, die bald sein Lieblingsbuch wurde. Eines Abends, als er gerade über Jesus las, wie er einen vornehmen Mann besuchte, hörte Martin, wie jemand seinen Namen rief. 'Martin, Martin', klang es plötzlich ganz leise. Er blickte sich um. Aber niemand war in seiner Werkstatt. Doch gleich darauf hörte er die Stimme wieder: 'Martin! Schau morgen hinaus auf die Straße. Ich will zu dir kommen.' Martin dachte, er habe geträumt. War es Jesus, der aus der Stille zu ihm sprach?

Am nächsten Morgen sah Martin vor seinem Fenster ein paar alte, geflickte Soldatenstiefel und bald erkannte er auch den Mann, der sie anhatte. Es war der alte Stephan. Er schaufelte gerade den Schnee von der Straße. Die Arbeit strengte ihn sehr an. Er musste immer wieder stehenbleiben, um sich auszuruhen. Martin hatte Mitgefühl mit dem alten Mann und rief ihn zu sich herein: 'Komm, Stephan! Wärme dich in meiner Stube!' Dankbar nahm Stephan die Einladung an. Er getraute sich kaum, mit dem Schnee an den Stiefeln die Stube zu betreten. Doch Martin redete ihm freundlich zu: 'Setz dich zu mir an den Tisch, Stephan! Ich will dir ein Glas Tee einschenken. Der warme Tee wird dir guttun.'

Als Stephan gegangen war, schaute Martin bei der Arbeit wieder aus dem Fenster. Da sah er eine junge Mutter mit einem kleinen Kind auf den Armen. Die Frau fror in ihrem dünnen Kleid. Sie versuchte, ihr Kind vor dem kalten Wind zu schützen. 'Komm herein, Frau!' rief Martin ihr zu. 'Hier drinnen kannst du dein Kind besser wickeln'. Martin nahm die Suppe vom Herd, die er für sich selbst gekocht hatte, und gab sie der Frau. 'Hier, iss etwas', sagte er, denn er sah der Frau an, dass sie Hunger hatte. Während die Mutter die Suppe aß, nahm Martin das Kind auf seinen Schoß und versuchte, es durch allerlei Späße zum Lachen zu bringen. Er bemerkte, dass das Kind gar keine Schuhe hatte. Die Mutter konnte sich keine leisten. Da holte er aus einer Schachtel zwei kleine Schuhe hervor. Es waren die besten Schuhe, die er jemals gemacht hatte - für seinen kleinen Sohn. Liebevoll betrachtete er sie noch einmal, dann zog er sie dem Kind an. Die Mutter war überglücklich und von Herzen dankbar.

Kaum war die Mutter mit dem Kind gegangen, da hörte Martin ein Geschrei vor seinem Fenster. Eine Marktfrau schlug auf einen kleinen Jungen ein, der einen Apfel aus ihrem Korb gestohlen hatte. 'Warte nur, du Dieb! Ich bring dich zur Polizei', schrie sie wütend und zerrte den Jungen an den Haaren. Sofort rannte Martin auf die Straße hinaus. 'Lass ihn doch laufen,' sagte er zu der Frau. 'Er wird es bestimmt nicht wieder tun. Den Apfel will ich dir bezahlen.' Da beruhigte sich die Frau und ging weiter. Der Junge aber half ihr freiwillig, den schweren Apfelkorb zu tragen.

Am Abend las Martin wieder in der Bibel. Da hörte er die leise Stimme wieder: 'Ich bin bei dir gewesen, Martin. Hast du mich erkannt?' 'Wann? Wo?' fragte Martin erstaunt. 'Schau dich einmal um', sagte die Stimme. Da sah Martin plötzlich den alten Stephan im Licht der Lampe stehen und daneben die junge Mutter mit ihrem Kind. Auch den Jungen mit dem Apfel sah er und die Marktfrau mit dem Korb am Arm. 'Erkennst du mich jetzt?' flüsterte die Stimme. Dann waren alle auf einmal verschwunden.

Da erkannte Vater Martin, dass Jesus sein Versprechen gehalten hatte: Er war zu ihm gekommen und Martin hatte ihn aufgenommen. Er schlug wieder seine Bibel auf und las, was Jesus gesagt hatte: 'Alles, was ihr meinen geringsten Schwestern und Brüdern tut, das tut ihr mir.'