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Bild oben: Weinberg
Bild mitte: Wachtturm im Weinberg
Bild unten: Weinpresse im Weinberg
Stunde der Wahrheit
Text: Lukasevangelium 20, 9-16 - Übersetzung: Hoffnung für alle
9 Nun erzählte Jesus seinen Zuhörern ein Gleichnis: 'Ein Mann legte einen Weinberg an. Er verpachtete ihn an einige Weinbauern und reiste für längere Zeit ins Ausland. 10 Zur Zeit der Weinlese beauftragte er einen Knecht, sich von den Weinbauern den vereinbarten Anteil an der Ernte aushändigen zu lassen. Aber sie schlugen den Knecht nieder und jagten ihn mit leeren Händen davon. 11 Da schickte der Besitzer einen zweiten Boten. Aber auch ihn schlugen und verhöhnten die Weinbauern und jagten ihn ohne den fälligen Anteil davon. 12 Er sandte einen dritten. Auch den schlugen sie blutig und vertrieben ihn. 13 'Was soll ich machen?', fragte sich der Besitzer des Weinbergs. 'Ich werde meinen geliebten Sohn schicken. Vor ihm werden sie wohl Achtung haben!' 14 Als die Weinbauern aber den Sohn kommen sahen, sagten sie zueinander: 'Das ist der Erbe! Den bringen wir um, und dann gehört der Weinberg uns.' 15 Sie stießen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Was, meint ihr, wird der Besitzer mit diesen Weinbauern machen? 16 Er wird selbst kommen, sie töten und den Weinberg an andere verpachten.' 'So etwas darf niemals geschehen!', riefen die Zuhörer entsetzt.
Texterläuterung
1. Gab es zur Zeit Jesu viele Weinberge in Palästina?
Ja. Weinbau war in Palästina zur Zeit Jesu weit verbreitet, besonders in hügeligen Gegenden mit fruchtbarem Boden wie Galiläa, Judäa und im Jordantal. Wein war nicht nur ein wichtiges Handelsgut, sondern auch ein alltägliches Nahrungsmittel (gemischt mit Wasser als Hauptgetränk). Viele Weinberge gehörten reichen Großgrundbesitzern - oft Abwesenden - und wurden an Pächter vergeben. Archäologische Funde bestätigen Mauern, Keltern und Türme aus dieser Zeit.
2. Wozu hatte der Weinberg eine Einfriedung?
Eine Mauer oder dichte Dornenhecke schützte den Weinberg vor Wildtieren (besonders Füchsen und Wildschweinen), vor Dieben, und verhinderte, dass Nutztiere hineingelangen und die Reben zerstören. Die Einfriedung war Ausdruck von Sorgfalt und Wertschätzung des Besitzers für seine Investition.
3. Wer war der Weinbergbesitzer?
Im ursprünglichen Bild Jesu: ein wohlhabender Grundbesitzer, der einen Weinberg anlegt, ihn ausstattet und ihn dann an Pächter übergibt. Er hält sich im Ausland auf. Im symbolischen Sinn Jesu: Der Weinbergbesitzer steht für Gott, der für sein Volk (Israel) gut sorgt.
4. Wer waren die Pächter?
Im Gleichnis: Pächter sind diejenigen, die den Weinberg bebauen und vom Ertrag leben, aber dem Besitzer seinen Anteil abzuliefern haben. In der Deutung Jesu: Gemeint sind die führenden religiösen Autoritäten Israels (Hohepriester, Schriftgelehrte, Älteste), denen Gott sein Volk anvertraut hat. Sie missbrauchen jedoch ihre Verantwortung, um sich selbst zu bereichern.
5. Wozu diente der Turm?
Ein Wachtturm im Weinberg hatte mehrere Funktionen: Schutz vor Dieben: Von oben konnte man das Gelände überblicken. Aufbewahrung von Werkzeugen und geernteten Trauben. Unterkunft für Wächter während der Erntezeit.
6. Wozu diente die Kelter?
Die Kelter (Weinpresse) war eine in Stein gehauene oder gemauerte Grube mit zwei Becken: Oben wurden die Trauben mit den Füßen zerstampft. Der Saft floss in das untere Becken, wo er gesammelt und vergoren wurde. Im Gleichnis ist die Kelter ein Zeichen, dass der Weinberg vollständig funktionsfähig und ertragreich war.
7. An wen war das Gleichnis ursprünglich gerichtet?
Markus 12,12 macht klar: Jesus erzählte es den Hohenpriestern, Schriftgelehrten und Ältesten, die ihn ablehnen. Das Gleichnis war kein allgemein-moralisches Gleichnis, sondern deutliche prophetische Worte an die religiöse Führungsschicht.
8. Welche Botschaft richtete Jesus damit an die Adressaten?
Gott hat euch Verantwortung übertragen: Ihr sollt sein Volk achtsam und verantwortungsvoll leiten. Ihr habt die Propheten verworfen: Die Knechte, die der Besitzer schickt, stehen für die Propheten Israels, die oft verfolgt oder getötet wurden. Jetzt kommt der Sohn: Jesus sieht sich selbst als den letzten Gesandten Gottes.
9. Wurde das Gleichnis in der Urkirche umgeformt?
Ja, sehr wahrscheinlich. Im ursprünglichen Wortlaut Jesu stand wohl die Prophetenkritik und Warnung im Vordergrund. Die Urkirche hat die Erzählung weitergedeutet im Licht von Jesu Tod und Auferstehung: Der 'Sohn' ist eindeutig Jesus Christus. Seine Tötung wird als Prophetenschicksal gesehen. Die Übergabe des Weinbergs 'an andere' wurde als Hinweis auf die Entstehung der Kirche verstanden.
Worte des Lebens für uns
Es gibt Momente im Leben, da wird alles auf einmal klar. Man kann sich nicht mehr verstecken, keine Ausrede mehr finden. Die Wahrheit steht vor uns - und fordert eine Entscheidung. Solche Augenblicke nenne ich die Stunde der Wahrheit. Das Gleichnis von den Weingärtnern erzählt davon.
Der Besitzer des Weinbergs schickt Boten - wieder und wieder. Obwohl sie geschlagen, verhöhnt und vertrieben werden, versucht er es noch einmal. Das ist nicht menschliche Logik. Das ist göttliche Geduld. Gott gibt uns nicht nach Fehlversuchen auf. Er sucht uns unermüdlich.
Als der Sohn kommt, steht alles auf Messers Schneide. Jetzt ist der Moment, an dem sie zeigen könnten: Wir ändern unser Verhalten, wir respektieren den Willen des Besitzers. Doch sie entscheiden anders. Die Stunde der Wahrheit wird für sie zur Stunde des Gerichts. Was verborgen war, wird offenbar: Ihr Herz ist nicht auf Treue, sondern auf Selbstsucht und Besitz aus.
Wir hören dieses Gleichnis leicht mit dem Blick auf 'die anderen' - die damaligen religiösen Führer, die Jesus ablehnten. Doch uns erzählt Jesus dieses Gleichnis heute. Es gibt Momente, in denen Gott uns seine Wahrheit ins Herz legt: eine innere Überzeugung, ein Bibelwort, ein Mensch, der uns liebevoll widerspricht. Dann ist die Frage: Hören wir zu oder weisen wir ihn ab?
In dieser Stunde entscheidet sich, was uns wichtiger ist: unser Ansehen oder Gottes Wahrheit, unser Besitz oder Gottes Auftrag, unser eigener oder Gottes Wille. Die Stunde der Wahrheit macht nicht erst alles neu. Sie legt offen, was schon lange in uns ist.
Auch wenn das Gleichnis mit Gerichtsworten endet, klingt darin doch eine Einladung: Wir können heute schon den Weg mit Gott wählen. Die Stunde der Wahrheit kann der Beginn eines neuen Lebens für uns werden. Gott sendet seinen Sohn nicht, um uns zu vernichten, sondern um uns heimzuholen in seinen Weinberg.