Gott - Liebhaber, nicht Befehlshaber

Matthäusevangelium 8, 5–13: wortgetreue Übersetzung aus dem griechischen Urtext

5 Hineingegangen war aber er nach Kafarnaum, kam zu ihm ein Zenturio, bittend ihn 6 und sagend: Herr, mein Bursche ist hingeworfen (= liegt darnieder) im Haus gelähmt, schrecklich gequält werdend. 7 Und er sagt zu ihm: Ich, gekommen, werde heilen ihn. 8 Und antwortend, der Zenturio sagte: Herr, nicht bin ich würdig, dass unter mein Dach du hineingehst; aber nur rede mit einem Wort, und geheilt werden wird mein Bursche. 9 Denn auch ich ein Mensch bin unter Amtsgewalt, habend unter mir Soldaten, und ich sage zu diesem: Geh! Und er geht. Und zu einem andern: Komm! Und er kommt, und zu meinem Diener: Tu dies! Und er tut. 10 Gehört habend aber, Jesus wunderte sich und sagte zu den Nachfolgenden: Wahrlich, ich sage euch: Bei niemandem so großen Glauben in Israel habe ich gefunden. 11 Ich sage aber euch: Viele von Aufgang und Untergang werden kommen und werden sich niederlegen mit Abraham und Isaak und Jakob im Reich der Himmel; 12 aber die Söhne des Reichs werden hinausgeworfen werden in die Finsternis äußerste; dort wird sein das Weinen und das Knirschen der Zähne. 13 Und sagte Jesus zu dem Zenturio: Geh hin! Wie du geglaubt hast, geschehe dir! Und geheilt wurde sein Bursche in jener Stunde.

Der römische Hauptmann erzählt

Seit ein paar Jahren lebe ich im Ruhestand. Stationiert in der Provinz Syrien war ich über Jahrzehnte Befehlshaber in der Armee des römischen Kaisers. Nach erfolgreichen Kriegen nahmen wir von unseren Feinden viele Soldaten gefangen und machten sie zu unseren Sklaven. Das Recht Roms sah diese Möglichkeit vor. Auch ich bekam einmal einen gefangenen Soldaten als Sklaven. Er war mein Eigentum. Das Muster von Befehl und Gehorsam, das ich im Militärdienst seit langem verinnerlicht hatte, wandte ich wie üblich auch im Privatleben bei meiner Familie und meinem Sklaven an. Ich gab Befehle aus, sie hatten sie unverzüglich und auf Punkt und Beistrich auszuführen.

Nach einiger Zeit merkte ich bei meinem Sklaven eine Veränderung. Er wirkte müde, erschöpft, schwermütig und lebensüberdrüssig. Auffallend waren seine verlangsamten, trägen Bewegungen. Er wollte kaum noch essen. Bald kam er am Morgen nicht mehr aus dem Bett. Ich machte mir große Sorgen um seine Gesundheit. Da erlebte ich zum ersten Mal, dass meine Befehlsgewalt an Grenzen stieß und wirkungslos blieb.

Mehrmals schon hatte ich von einem gewissen Jesus aus N. gehört, dass er Menschen heilen könne. In meiner Ohnmacht ging ich zu ihm und erzählte ihm von meinem kranken Sklaven. Ich war sehr verwundert, dass mir Jesus anbot zu mir nach Hause zu kommen. Wir Römer waren bei den Juden verhasst, galten als Feinde. Sie hielten uns für unreine, von Gott verstoßene Menschen. Niemals hätte ein frommer Jude seinen Fuß über die Schwelle eines römischen Hauses gesetzt. In meiner Gefangenheit in meinem gewohnten Schema von Befehl und Gehorsam bat ich Jesus, meinen Sklaven von Ferne mit einem Befehlswort zu heilen.

Jesus erklärte mir, dass Heilung so nicht geschehen würde, sondern dass wir den Ursachen der Krankheit meines Sklaven auf den Grund gehen müssten. Offen sagte er mir: "Die Ursache der Krankheit deines Sklaven ist dein Umgang mit ihm. Seine Seele ist in einen Generalstreik getreten und spricht sich über äußere Anzeichen aus. Du behandelst deinen Sklaven wie ein Werkzeug, wie eine Maschine, die funktionieren soll. Das entmenschlicht ihn, raubt ihm seine Freiheit und Selbstbestimmung, seinen Wert und seine Würde. Auf Dauer hält das keine Menschenseele aus. Die Auswirkungen sind Krankheiten."

Von Jesus habe ich viel gelernt. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Jesus brachte mir Gott nahe, nicht als Befehlshaber, der von uns Menschen Gehorsam verlangt und uns bestraft, wenn wir nicht gehorsam sind, sondern als Liebhaber, der uns lernen, wachsen, reifen und uns entwickeln lässt und uns mit grenzenloser mütterlicher und väterlicher Liebe auf unseren Lernwegen begleitet. Gottes Macht ist die Macht der Liebe, die nicht herrscht (beherrscht), sondern freigibt und befreit. Unter die Macht der Liebe stellte ich mich jetzt voll Vertrauen. In der Folge lernte ich, Menschen nicht mehr als Befehlsempfänger, sondern als Menschen mit Anrecht auf Wert und Würde, Freiheit und Selbstbestimmung zu sehen und dementsprechend mit ihnen umzugehen.

Bald traf ich eine wichtige Entscheidung: Ich löste mich von meiner Befehlsgewalt und schenkte meinem Sklaven Freiheit. Von da an begann seine Genesung. Und ich wurde geheilt von meinem Drang Befehle zu erteilen und Macht auszuüben.