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Vor dem Spiegel stehe ich -
und sehe mich.
Nicht nur das Licht in mir, das ich kenne,
sondern auch den Schatten,
der zu mir gehört.
Da ist ein zweites Ich,
dunkler, ernster, verletzter -
und doch bin ich auch das.
Lange habe ich es bekämpft,
weggeschoben, verleugnet.
Doch je mehr ich floh,
desto näher rückte es heran.
Nun stehen wir uns gegenüber,
Auge in Auge, Hand in Hand.
Und ich beginne zu verstehen:
Mein Schatten ist kein Feind,
er ist ein Teil von mir,
der gesehen werden will.
Aus Angst wächst Erkenntnis,
aus Dunkelheit Kraft,
aus Trennung wird Ganzheit.
Und mitten im Spiel von Licht und Schatten
flammt ein stiller Friede auf -
geboren aus dem Mut,
auch das Unwillkommene zu umarmen.
Im Spiegel meines Schattens
oder: Versöhnungsprozess mit meinem inneren Gegner
Text: Matthäusevangelium 5, 43–48 - Übersetzung: Das Buch
43 Ihr habt mitbekommen, dass gesagt wird: Du wirst den lieb haben, der dir nahesteht, und deinen Feind hassen. 44 Aber ich sage euch: Begegnet euren Feinden in Liebe und betet für die, die euch verfolgen. 45 Wenn ihr das tut, dann erweist ihr euch als Kinder eures Vaters, der im Himmel ist. Denn so handelt Gott, der Schöpfer, auch. Er lässt seine Sonne aufgehen über allen Menschen, den Bösen und den Guten. Allen sendet er seinen Regen, den Gerechten und den Ungerechten. 46 Wenn ihr aber nur denen mit Liebe begegnet, die euch lieben, was ist denn daran besonders zu belohnen? Tun das nicht auch die Menschen, deren ganzes Streben sich auf Betrug und Geldvermehrung richtet? 47 Und wenn ihr nur die besonders freundlich behandelt, die zu eurer Familie gehören, inwiefern unterscheidet ihr euch dann von anderen? Das machen doch alle, selbst wenn sie nicht zu Gottes Volk gehören! 48 Ihr aber sollt euch ganz anders verhalten. In allem, was ihr tut, sollt ihr euren Vater im Himmel widerspiegeln. Er ist vollkommen gerecht und wendet sich allen Menschen zu.
Tiefenpsychologische Betrachtung
1. Die unerwartete Entdeckung: Er wohnt nicht draußen
Wenn wir von einem 'Feind' sprechen, denken wir fast automatisch an jemanden außerhalb von uns: einen Menschen, der uns verletzt hat, eine Gruppe, die uns bedroht, eine Macht, die uns schadet. Tiefenpsychologisch gesehen ist das aber nur die Projektion eines inneren Vorgangs nach außen. C. G. Jung hat es so formuliert: 'Was wir am anderen bekämpfen, ist oft das, was wir in uns selbst nicht sehen wollen.' Der eigentliche Feind wohnt nicht außerhalb - er sitzt mitten in uns. Er trägt unsere Stimme, kennt unsere Schwächen, weiß, wo wir verwundbar sind. Und gerade deshalb ist er so gefährlich: weil er nicht 'der Andere' ist, sondern Teil unseres eigenen Selbst.
2. Schattenseiten: Die verdrängten Kräfte des Selbst
Jeder Mensch trägt in sich einen 'Schatten' - jene Anteile der Persönlichkeit, die wir nicht wahrhaben wollen, die wir verdrängen, leugnen oder bekämpfen. Sie können aggressiv, neidisch, kleinlich, feige, herrschsüchtig oder selbstzerstörerisch sein. Weil wir sie nicht sehen wollen, lagern wir sie gerne nach außen aus. Dann erscheint uns ein anderer Mensch als 'Feind', obwohl er nur das spiegelt, was wir in uns selbst bekämpfen. Diese unbewussten Kräfte werden umso destruktiver, je mehr wir sie verleugnen. Wer seinen Schatten nicht kennt, wird von ihm beherrscht. Der 'Feind in mir' ist also keine fixe Größe, sondern der Teil meiner selbst, den ich nicht integrieren will.
3. Der innere Kampf: Wenn Selbsthass stärker ist als Hass nach außen
Manchmal zeigt sich der Feind nicht als Aggression gegen andere, sondern als Aggression gegen mich selbst: in Selbstverachtung, Schuldgefühlen, Perfektionismus oder der ständigen inneren Stimme, die sagt: 'Du bist nicht gut genug.' Dieser innere Gegner sabotiert unser Wachstum, lähmt unsere Lebenskraft und hält uns klein. Er nährt sich aus alten Verletzungen, aus nicht verarbeiteten Erfahrungen, aus übernommenen Werturteilen anderer. Tiefenpsychologisch betrachtet ist es ein Teil der Selbstwerdung - des inneren Werdensprozesses -, diesen inneren Feind zu erkennen, zu konfrontieren und letztlich zu verwandeln.
4. Vom Feind zum Verbündeten: Integration statt Vernichtung
Der entscheidende Schritt besteht nicht darin, den Feind in uns zu bekriegen und zu vernichten - das würde nur einen neuen inneren Krieg erzeugen, sondern ihn zu integrieren. Integration bedeutet, zu erkennen: Diese dunklen Kräfte tragen auch Energie in sich. Wut kann zur Kraft der Gerechtigkeit werden, Neid zur Sehnsucht nach Wachstum, Angst zur Fähigkeit der Vorsicht. Der Schatten verliert seine zerstörerische Macht, wenn er gesehen, angenommen und verwandelt wird. Der 'Feind' wird zum 'Lehrer', der uns zeigt, wo wir mit uns noch unversöhnt sind.
5. Der Weg zur inneren Versöhnung
Die Begegnung mit dem Feind in uns ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein lebenslanger Prozess. Sie verlangt Mut zur Selbstbegegnung, Ehrlichkeit und die Bereitschaft, nicht nur Licht, sondern auch Dunkelheit in uns zu sehen. Wer diesen Weg geht, wird innerlich freier und friedlicher - und erstaunlicherweise verlieren auch die äußeren Feinde an Bedrohlichkeit. Denn wer den Feind in sich integriert hat, kann ihn draußen anders sehen: nicht mehr als Gegner, sondern als Spiegel.
Gottes Wort ist Befreiungsbotschaft für uns
Es ist leicht, Feinde zu finden. Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen oder durch die sozialen Medien zu scrollen. Da sind sie: die, die anders denken, anders leben, anders glauben. Die, die 'schuld' sind. Die, die 'uns' bedrohen. Und wenn wir ehrlich sind, dann tut es manchmal sogar gut, einen Feind zu haben. Denn solange der Feind da draußen ist, muss ich mich drinnen nicht verändern. Aber tiefenpsychologisch betrachtet beginnt jeder Krieg im Innern. Jeder Hass, der nach außen schlägt, ist zuerst ein innerer Konflikt. Jeder Feind da draußen ist ein Spiegel für etwas, das ich in mir selbst nicht sehen will.
'Liebt eure Feinde', sagt Jesus. Ein Satz, der uns überfordert. Wie soll man jemanden lieben, der uns verletzt hat? Aber vielleicht liegt der erste Schritt darin, zu begreifen, dass es nicht nur äußere Feinde gibt. Vielleicht spricht Jesus auch vom Feind in uns - von dem Teil, den wir nicht lieben können, nicht lieben wollen.
Da ist diese Stimme, die ständig urteilt: 'Du bist nicht gut genug.'
Da ist dieser Teil, der wütend und verletzend ist.
Da ist diese dunkle Kraft, die uns sabotiert, klein hält, lähmt.
Wir tun oft so, als gäbe es sie nicht. Aber sie ist da. Und sie kennt uns besser als jeder äußere Gegner. C. G. Jung hat gesagt: 'Wer nach außen schaut,
träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.' Der Kampfplatz, auf dem sich unser Leben entscheidet, liegt nicht vor unseren Mauern, sondern mitten in unserer Seele.
Jeder Mensch trägt einen 'Schatten' in sich - jene Seiten, die wir verdrängen oder ablehnen, weil sie nicht zu unserem Bild von uns passen. Unsere Aggression, unsere Eifersucht, unsere Feigheit, unsere Lieblosigkeit. Wir sagen: 'So bin ich nicht.' Und doch ist der Schatten da in uns. Das Problem ist: Was wir verdrängen, verschwindet nicht. Es wirkt weiter - unbewusst, unkontrolliert, zerstörerisch. Wer seinen Zorn nicht kennt, wird ihn auf andere projizieren. Wer seine eigene Schwäche nicht annimmt, wird sie bei anderen verachten. Wer seine Dunkelheit nicht anschaut, wird sie im Außen bekämpfen - und nennen sie dann: 'der Feind'. So verwandeln sich ungelöste innere Konflikte in äußere Kämpfe. Der Krieg in der Welt beginnt mit dem Krieg im Herzen.
Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir mit diesem inneren Feind um? Unsere erste Reaktion ist meistens: bekämpfen. Wegdrücken. Überspielen. Aber das funktioniert nicht. Denn du kannst einen Teil deiner selbst nicht vernichten, ohne dich selbst zu zerstören. Der Weg ist ein anderer: sehen - anerkennen - verwandeln. Das ist schwer. Es kostet Mut, in den Spiegel zu schauen und zu sagen: Ja, das bin ich auch. Auch diese Wut. Auch diese Angst. Auch dieser Neid. Auch diese Härte. Aber genau da beginnt Wandlung. Denn was wir anschauen, verliert seine Macht. Was wir umarmen, kann sich verwandeln. Wut kann zur Kraft der Gerechtigkeit werden. Angst kann zur Achtsamkeit werden. Schwäche kann zur Zärtlichkeit werden. Der 'Feind' wird nicht vernichtet - er wird angenommen. Und aus einem Gegner wird ein Lehrer. Aus einem dunklen Teil wird eine Quelle der Lebenskraft.
Vielleicht ist das, was Jesus meint, wenn er sagt: 'Liebt eure Feinde.' Nicht zuerst: Habt warme Gefühle für eure Widersacher. Sondern: Begegnet dem Feind - auch dem in euch - mit einem Herzen, das ihn nicht hasst, sondern verstehen will. Wer den Feind in sich umarmt hat, muss nicht mehr so hart gegen die Feinde draußen kämpfen. Wer mit sich selbst versöhnt ist, kann auch mit anderen versöhnt leben. Wer die Dunkelheit in sich kennt, kann im Anderen noch das Licht sehen. Der Frieden, den wir uns für die Welt wünschen, beginnt mit diesem inneren Schritt. Mit der Bereitschaft, dem Feind nicht mehr mit Hass, sondern mit Aufmerksamkeit zu begegnen. Mit dem Mut, nicht länger wegzulaufen, sondern stehenzubleiben und zu sagen: 'Auch du gehörst zu mir.'
'Selig sind, die Frieden stiften', sagt Jesus. Dieser Friede beginnt nicht mit Waffenstillständen und Verträgen. Er beginnt in einer Seele, die aufhört, sich selbst zu bekämpfen. Und aus diesem inneren Frieden wächst eine Kraft, die stärker ist als jeder Hass. Denn wer den Feind in sich versöhnt hat, ist frei.