Ich lernte sehen

Markusevangelium 8, 22–26

Meine Eltern haben für mich den Vornamen Eleazar gewählt. Er bedeutet "Gott ist mein Helfer". Ob sie geahnt haben, dass mein Name einmal besondere Bedeutung erlangen wird?

Daheim bin ich in Betsaida, einem kleinen Fischerdorf am See Genezareth. Hier bin ich geboren und aufgewachsen. Wegen meines Aussehens haben sich andere Kinder über mich oft lustig gemacht. Weil ich abstehende Ohren hatte, gaben sie mir den Spottnamen "Segelohr". Darunter habe ich sehr gelitten und im Stillen oft geweint. Manchmal schlug ich auf andere Kinder ein, die es besonders arg mit mir trieben. In den folgenden Raufereien zog ich immer den Kürzeren und wurde verprügelt. Andere Kinder, die beliebt waren und liebe Freunde hatten, habe ich immer beneidet. Mich wollte niemand als Freund.

So wie viele Männer in unserer Gegend betrieb auch mein Vater eine selbständige Fischerei. Schon als Kind musste ich ihm bei seinen Arbeiten helfen. So war es naheliegend, dass auch ich mich für die berufliche Tätigkeit des Fischfanges entschied.

Etwa fünfundzwanzigjährig habe ich geheiratet. In unserer Ehe fühlte ich mich das erste Jahrzehnt glücklich, über unsere Familie mit unseren drei Kindern.

Dann kam ein schwerer Schicksalsschlag. Mein Fischereibetrieb ging bankrott. Ohne Arbeit wurden die Geldmittel knapp. Bald hatte dies Auswirkungen auf unser Ehe- und Familienleben. Häufig gab es Streit. Meinen Frust begann ich mit Alkohol zu verdrängen. Mit der Zeit verfiel ich der Trunksucht. Meine Frau trennte sich von mir und zog mit unseren Kindern wieder zu ihren Eltern.

Wie wenn ich in ein finsteres Loch gefallen wäre, so kam ich mir vor. Gleichsam wie ein Eremit zog ich mich mehr und mehr zurück in meine vier Wände. Nirgendwo wollte ich hingehen und keinen mehr sehen. Vorgekommen bin ich mir wie der größte Versager. Unfähig als Ehemann, als Vater und als kleiner Unternehmer. Antriebslos, lustlos und ohne Energie verbrachte ich meine Tage von morgens bis abends. In den Nächten lag ich stundenlang wach und grübelte. Gedanken, mein Leben zu beenden, stellten sich ein. Seelisch lag ich am Boden.

Lange Zeit bin ich buchstäblich durch die Hölle gegangen. Bis zu jenem Tag, an dem Jesus in mein Leben trat. Jesus war zuvor schon manchmal in unser Dorf gekommen. Einer seiner besten Freunde - Petrus - war ja auch bei uns in Betsaida groß geworden. Vom Sehen aus kannte ich Jesus schon.

Eines Tages klopfte es an meiner Tür. Jesus hatte von mir gehört und suchte mich auf. Wie so oft lag ich gerade im Bett.

Höflich fragte mich Jesus, ob er zu mir ins Haus kommen dürfte. Monatelang hatte mich keiner besucht. Als Jesus zu mir kam, war ich total überrascht und habe mich darüber gefreut.

Jesus erkundigte sich nach meinem Befinden. Da er so große Herzenswärme ausstrahlte, fasste ich Vertrauen zu ihm und teilweise unter Tränen erzählte ich ihm alles von mir und meinem Leben. Er hörte mir so einfühlsam und verständnisvoll zu, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.

Viel Zeit schenkte er mir. Als er sich verabschiedete, bat ich ihn bald wieder zu kommen. Diesem Besuch Jesu in meinem Haus folgten viele.

In Jesu Nähe lernte ich, Gott zu sehen als ewig Liebenden, Gütigen, Barmherzigen, Vergebenden, Gewaltlosen. In Jesu Nähe lernte ich mich selbst sehen als grenzenlos geliebtes Gotteskind - mit ewiger Würde und unvergänglichem Wert ausgestattet. In Jesu Nähe lernte ich mein Leben sehen als Gottes wunderbares Geschenk. In Jesu Nähe lernte ich meine Mitgeschöpfe sehen - alle eins mit mir. In Jesu Nähe lernte ich die Liebe sehen als höchstes Gut und lernte sie leben im Alltag meines Lebens.

In Jesu Nähe lernte ich die Bedeutung meines Namens Eleazar sehen: GOTT IST MEIN HELFER.