Gnade statt Lohn

Matthäusevangelium 20, 1-16

Kommentar

Zwei Väter haben viele Kinder. Als ihre Kinder längst erwachsen sind, teilen sie ihnen das Erbe zu.

Der erste Vater war immer bemüht, zu seinen Kindern gerecht zu sein. So auch bei der Übergabe des Erbes. Zu einigen seiner Kinder sagt er: Ihr wisst, dass ich ein gerechter Vater bin und euch gebe, was ihr verdient. Ihr seid von Kindheit an gut zu mir gewesen und habt mir viel Freude gemacht. Auch als ihr von zu Hause fortgegangen seid und euch eine eigene Existenz aufgebaut habt, habt ihr mich nicht vergessen. Ihr besucht mich häufig und ruft mich an und fragt, wie es mir geht. Ich will es euch vergelten. Ihr bekommt den größten Anteil des Erbes. Den habt ihr euch redlich verdient. Zu anderen Kindern sagt er: Ihr wisst, dass ich ein gerechter Vater bin und euch gebe, was ihr verdient. Ihr seid tüchtige, strebsame Menschen geworden. Ihr habt es beruflich und im gesellschaftlichen und privaten Leben zu etwas gebracht. Ich bin stolz auf euch. Ihr habt meinen guten Ruf vermehrt. Ich will es euch vergelten mit einem großen Anteil des Erbes. Der steht euch zu. Schließlich kommen die letzten Kinder an die Reihe, und der Vater sagt ihnen: Ihr wisst, dass ich ein gerechter Vater bin und euch gebe, was ihr verdient. Mit euch hatte ich viele Sorgen. Ihr habt mir von klein auf oft Kummer und schlaflose Nächte bereitet. Ihr seid mittelmäßige bis schlechte Schüler gewesen. Ich habe mich oft geschämt für euch. Meistens habt ihr den bequemen Weg gewählt. Eure Berufsausbildungen habt ihr abgebrochen. Lange seid ihr mir an der Tasche gelegen. Besuchen kommt ihr mich nur, um euch Geld von mir zu holen. Ihr bekommt, was ihr euch verdient. Ich will euch den Pflichtanteil des Erbes geben. Das ist gerecht.

Der zweite Vater hat alle seine Kinder vom ältesten bis zum jüngsten ganz tief in sein Herz geschlossen. Er ist stets bedacht, seine Vaterliebe allen in gleich hohem Maß zu zeigen. Er bevorzugt und benachteiligt keines. Die Zuwendung mussten sich seine Kinder nicht verdienen. Er ist zu seinen Kindern gut, nicht weil sie schön, gut, begabt, fleißig, rechtschaffen und anständig oder ihm so zugetan sind, sondern er ist gut zu ihnen, weil er sie liebt. Das zeigt sich auch bei der Übergabe des Erbes. Eines Tages lädt dieser Vater alle seine Kinder zum Essen ein und eröffnet ihnen dabei, dass er ihnen nun das Erbe zuteilen wird. Da sagt er: Ich habe euch alle gleich viel lieb. Immer habe ich darauf geachtet, keinen Unterschied zu machen und zu euch allen in gleichem Maß gut zu sein. Ob es mir gelungen ist, habe nicht ich zu beurteilen. Ich habe so große Freude mit jeder und jedem von euch. Glücklich ja glückselig bin ich, dass ihr lebt und meine Kinder seid, und dass ich euer Vater sein kann. Ich danke euch tausendmal, dass ihr mich annehmt mit meinen Fehlern und Schwächen, mit meinen Ecken und Kanten. Heute übergebe ich euch das Erbe. Alle erhalten gleiche Anteile.

Im zweiten Vater spiegelt sich der himmlische Vater. Im Reich Gottes ist die Gnade bestimmend und nicht der Lohn für Leistung, das warme, gütige Herz und nicht der kalte Gerechtigkeitssinn. Alle Geschöpfe sind Kinder des himmlischen Vaters und seine Erben. Er teilt allen zu in gleich hohem Ausmaß.