Kommentar zu Lukas 18, 9-14

"die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten": Das bedeutet: Sie sind überzeugt, dass ihr Leben vor Gott recht, richtig ist, und dass das Leben der anderen vor Gott nicht recht, nicht richtig ist. Sie glauben, dass sie selber Umkehr nicht nötig haben. Sie halten die anderen für Sünder und verachten sie deshalb. Sinnverwandte Wörter von "selbstgerecht" sind: angeberisch, anmaßend, arrogant, eingebildet, eitel, hochmütig, hochnäsig, protzig, scheinfromm, selbstgefällig, stolz, überheblich, verächtlich, von oben herab.

Dieses Gleichnis überliefert nur das Lukas-Evangelium.

Der Tempel in Jerusalem befand sich auf dem Tempelberg, der im Osten, Süden und Westen von Abhängen umgeben ist. Deshalb gingen der Pharisäer und der Zolleinheber zum Tempel "hinauf". Sie gingen zur Gebetsstunde in den Tempel, das war zum Morgengebet um 9.00 Uhr und zum Abendgebet um 15.00 Uhr.

Die Pharisäer (hebräisch: peruschím = die Abgesonderten) waren eine Gruppierung bzw. Partei im antiken Judentum mit einer eigenen religiösen und politischen Ausrichtung. Sie bestanden während der Zeit des zweiten jüdischen Tempels (ca. 530 v. Chr. - 70 n. Chr.) und wurden nach 70 n. Chr. als rabbinisches Judentum die einzige bedeutende überlebende jüdische Strömung. Jesus stand den Pharisäern nahe. Paulus gehörte zu ihnen.

Als Kontrast zum selbstgerechten Pharisäer zeichnet Jesus das Bild eines Zolleinhebers. Dieser hob den Zoll für das römische Reich ein, dessen Soldaten Palästina damals besetzt hielten. Wegen ihrer Zusammenarbeit mit der römischen Besatzungsmacht und wegen ihrer oftmals betrügerischen Zollforderungen waren die Zolleinheber vom Volk gehasst und wurden von Selbstgerechten als Unreine und öffentliche Sünder bezeichnet und verachtet.

Die Beter stehen zum Heiligtum hingewandt, sprechen halblaut, strecken die Hände aus oder erheben sie zum Himmel. Jesus zeichnet in diesem Gleichnis das Bild eines selbstgerechten Frommen. In seinem Gebet ist "ich" das häufigste Wort. Sein "Gebet" ist eine Selbstdarstellung und eine Selbstverherrlichung. Er zählt Gott seine großartigen religiösen Leistungen auf. Es ist ein Vorurteil, die Pharisäer in Bausch und Bogen als religiöse Heuchler zu bezeichnen. Sie beachteten die Gebote und Verbote im Gesetz des Moses treu. Sie taten mehr, als das Gesetz vorschrieb. Zum Beispiel fasteten sie nicht nur an einem Tag im Jahr, wie es das Gesetz vorsah, sondern zweimal wöchentlich, am Montag und Donnerstag. Und obwohl nur für Getreide, Most und Öl eine Art Tempelsteuer zu entrichten war, zahlten die Pharisäer freiwillig für alles, was sie kauften, den zehnten Teil des Kaufpreises an den Tempel. Das taten sie freiwillig stellvertretend für andere, die es damit nicht so genau nahmen. Wer seine Religion ernst nimmt und konsequent nach den Weisungen seiner Religion lebt, ist in der Versuchung, sich im Vergleich mit anderen für besser zu halten und deshalb über andere erbarmungslos zu urteilen und sie zu verachten.

Als Gerechter bedeutet: er handelt recht, richtig vor Gott. Er rechnet Gott nichts vor. Er weiß, dass er Gott kein großartiges Leben vorzuweisen hat, aber er ist offen für die Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Er stellt sich in die Liebe Gottes. Der andere ist dafür verschlossen; er glaubt, Gottes Barmherzigkeit nicht zu brauchen. Jesus hat nicht die Zielverfehlung des Zolleinhebers gut geheißen, sondern seine Offenheit für das Geschenk der Barmherzigkeit Gottes. Und er hat nicht die Frömmigkeit und die Gesetzestreue des Pharisäers, sondern sein selbstgerechtes Pochen auf seine frommen Leistungen und seine lieblose Verachtung anderer als vor Gott unrichtig erklärt. Der Pharisäer hielt sich selber für gut und hat übersehen, dass er wie der Zolleinheber genauso der Umkehr zur Barmherzigkeit Gottes bedarf.

Um den Namen "Gott" nicht aussprechen zu müssen, werden Passiv-Formulierungen verwendet: "wird erniedrigt werden" und "wird erhöht werden". Sie weisen darauf hin, dass Gott es ist, der erniedrigt und erhöht.