Eine arme Witwe, die ihre letzten paar Cent spendet
Text: Lukasevangelium 21, 1–4 - Übersetzung: Elberfelder Bibel
1 Er (= Jesus) blickte aber auf und sah die Reichen ihre Gaben in den Schatzkasten legen. 2 Er sah aber auch eine arme Witwe zwei kleine Kupfermünzen dort einwerfen. 3 Und er sprach: In Wahrheit sage ich euch, dass diese arme Witwe mehr eingeworfen hat als alle. 4 Denn alle diese haben von ihrem Überfluss eingelegt zu den Gaben; diese aber hat aus ihrem Mangel heraus den ganzen Lebensunterhalt, den sie hatte, eingelegt.
Die arme Witwe erzählt
Seit sieben Jahren bin ich Witwe. In meiner Heimat Palästina schnappt über Witwen rasch die Armutsfalle zu. Wenn eine Witwe so wie ich auch kinderlos ist, heißt das für sie gleichsam das Todesurteil. Bei uns gibt es keine geregelte Altersversorgung. Kinder sorgen für ihre alten Eltern. Dazu kommt, dass kinderlose Witwen in gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit fallen. Sie werden geringgeschätzt, nicht beachtet, oft verspottet und ausgenützt. Das tut furchtbar weh.
Öfter ging ich in den Tempel, um Gott von meinem Los und meiner Not zu erzählen und ihn zu bitten, er möge mich von meinem Elend erlösen. Im Tempelvorhof der Frauen sind Spendenboxen aufgestellt für verschiedene Zwecke, zum Beispiel für die Erhaltung des Tempels oder für Menschen, die nicht die nötigen Geldmittel haben, um sich ein Opfertier zu kaufen. Auch Männer dürfen den Vorhof der Frauen betreten. Als ich wieder einmal zum Gebet im Tempel war, warf ich meine allerletzten Münzen in eine der Spendenboxen und verließ das Haus Gottes.
Nach kurzer Strecke merkte ich, dass mir ein Unbekannter folgte. Ich drehte mich um und fragte ihn: 'Fremder, wer bist du und was willst du von mir?' Er antwortete: 'Ich bin Jesus aus Nazareth. Ich möchte ein Stück mit dir gehen.' Ich war sehr verwundert; denn es war schon lange, lange her, dass mich jemand angesprochen hatte. Jesus strahlte Vertrauen und Herzlichkeit aus, darum sagte ich: 'Meinetwegen, ich kenne dich zwar nicht, du kannst mich aber gern ein Stück begleiten. Ich bin auf dem Heimweg und brauche gut eine Stunde bis nach Hause.'
Auf dem Weg erzählte mir Jesus, er habe mich beim Spenden im Tempel beobachtet. 'Ja, meine letzten Münzen habe ich eingeworfen. Jetzt habe ich keinen einzigen Cent mehr. Auch wenn ich selbst arm bin, möchte ich dennoch auch geben.' 'Das habe ich geahnt, ich spüre, du hast ein gütiges, warmes Herz. Und Menschen, die selbst nichts als Not kennen, haben großes Mitgefühl mit anderen in Not. Sie verstehen, was Not bedeutet', sagte Jesus.
Dann sprach er: 'Erzähl mir mehr von dir und von deinem Leben.' Ich begann zu erzählen, und erzählte lange, und erzählte ihm alles von mir. Jesus hörte aufmerksam zu. Es war für mich unendlich wohltuend, dass mir einmal jemand einfühlsam und wertschätzend zuhörte. Beim Erzählen hatte ich die Zeit komplett vergessen. Dann standen wir vor der Tür meines armseligen Häuschens. Ich lud ihn ein, noch eine Weile bei mir zu bleiben. Bereitwillig nahm er meine Einladung an.
Im Haus öffnete er seine kleine Stofftasche, zog ein Stück Brot heraus, teilte es ihn zwei Hälften, gab mir die eine Hälfte und sagte: 'Iss mit mir ein Stück Brot!' Wir aßen miteinander. Ich sagte ihm: 'Ich habe dir vieles von mir erzählt, magst du mir jetzt auch von dir erzählen.' Und er vertraute mir viel aus seinem Leben an. Er sprach auch von Gott als seinem Abba, seinem lieben Vati, der unendlich gütig ist zu allen, der keinen Unterschied macht, sondern allen die gleiche unverlierbare Würde und ewigen Wert gibt, für den niemand unbedeutend ist, der ein überliebendes Herz hat für alle und auf niemanden vergisst. 'Wie du von Gott sprichst', unterbrach ich ihn kurz, 'da wird mir warm ums Herz. Ich habe den Eindruck, du bist wirklich deines Abbas Sohn, ihm sehr ähnlich.'
Lange haben wir miteinander gesprochen. Für mich war dieser Tag einer meiner schönsten. Als sich Jesus verabschiedete, bat ich ihn, mich bald wieder zu besuchen. Unser Kontakt riss nicht mehr ab. Mit Jesus fing mein Leben noch einmal ganz neu an.