So hat Jesus nicht gesprochen

Lukasevangelium 11, 37–54 - Übersetzung: Die Gute Nachricht Bibel

37 Jesus hatte gerade aufgehört zu sprechen, da lud ihn ein Pharisäer zum Essen ein. Jesus ging zu ihm ins Haus und setzte sich zu Tisch. 38 Der Pharisäer war überrascht, als er sah, dass Jesus sich vor dem Essen die Hände nicht wusch. 39 Da sagte der Herr zu ihm: 'So seid ihr Pharisäer! Ihr reinigt sogar noch das Äußere von Becher und Schüssel. Aber ihr selbst seid in eurem Innern voll von Raub und Schlechtigkeit. 40 Was seid ihr doch unverständig! Hat Gott, der das Äußere gemacht hat, nicht auch das Innere gemacht? 41 Gebt den Armen, was in den Schüsseln ist, und alles ist euch rein! 42 Weh euch Pharisäern! Ihr gebt Gott den zehnten Teil von allem, sogar noch von Gewürzen wie Minze und Raute und von jedem Gartenkraut. Aber ihr kümmert euch nicht um das Recht eurer Mitmenschen und die Liebe zu Gott. Dies solltet ihr tun, ohne das andere zu vernachlässigen! 43 Weh euch Pharisäern! Ihr liebt die Ehrenplätze im Gottesdienst und lasst euch auf der Straße gern respektvoll grüßen. 44 Weh euch! Ihr seid wie unkenntlich gewordene Gräber, über die die Menschen nichts ahnend hinweggehen und dadurch unrein werden.' 45 Einer der Gesetzeslehrer sagte: 'Lehrer, damit beleidigst du auch uns!' 46 Jesus antwortete: 'Weh auch euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen kaum tragbare Lasten auf, macht aber selbst keinen Finger krumm, um sie zu tragen. 47 Weh euch! Ihr baut wunderschöne Grabmäler für die Propheten, die von euren Vorfahren umgebracht worden sind. 48 Damit bezeugt ihr öffentlich, dass ihr mit den Taten eurer Vorfahren einverstanden seid: Sie haben die Propheten umgebracht und ihr baut die Grabmäler. 49 Deshalb hat die Weisheit Gottes ja auch über euch gesagt: 'Ich werde ihnen Propheten und Apostel senden; sie aber werden einige von ihnen töten und die anderen verfolgen. 50 So kommt es dahin, dass diese Generation zur Rechenschaft gezogen wird für die Ermordung aller Propheten seit der Erschaffung der Welt, 51 von Abel bis hin zu Secharja, der zwischen Brandopferaltar und Tempelhaus umgebracht worden ist.' Ich versichere euch: Diese Generation wird für das alles zur Rechenschaft gezogen werden. 52 Weh euch, ihr Gesetzeslehrer! Ihr habt den Schlüssel weggenommen, der die Tür zur Erkenntnis öffnet. Ihr selbst seid nicht hineingegangen, und ihr habt alle gehindert, die hineinwollten.' 53 Nachdem Jesus das Haus verlassen hatte, ließen die Gesetzeslehrer und die Pharisäer ihn nicht mehr aus den Augen und achteten genau auf alles, was er sagte. 54 Sie lauerten darauf, eine verfängliche Äußerung aus seinem Mund zu hören.

Diese Worte sind gespickt voll von Grobheiten, Beleidigungen, Verletzungen, Drohungen, Anklagen, Schuldsprüchen, Verurteilungen. Sie reißen Gräben zwischen Menschen auf, errichten unsichtbare Mauern, rufen Hass und Gegenwehr hervor, sind Quelle für Streit und Feindschaft und in der Folge für Gewalt.

In der Bergpredigt hat Jesus gesagt: 'Richtig vor Gott ist, keine Gewalt anzuwenden.' Gewalt sind auch gewalterfüllte Worte. 'Richtig vor Gott ist, Frieden zu stiften.' Obige Worte stehen in eklatantem Widerspruch zur Bergpredigt. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass Jesus selbst gelebt, was er verkündet hat.

In Jesus sind sicher auch manchmal Zorngefühle hochgekommen, sonst wäre er kein Mensch gewesen. Aber so wie im Text oben hat Jesus nicht gesprochen. Davon bin ich überzeugt. Einmal mehr sind ihm Worte in den Mund gelegt worden.

Von Zorn gepackt werden ist das eine, wie mit Zorn umgehen ist das andere. Zorn muss so wie alle Gefühle geäußert werden. Gefühle ständig zu unterdrücken, hinunterzuschlucken und zu verdrängen, wird auf Dauer früher oder später verheerende Auswirkungen haben. Es gibt viele gute Möglichkeiten Zorngefühle auf andere oder auf mich selbst so auszudrücken, dass sie sich nicht wie ein Tsunami über andere oder über mich selbst ergießen und zerstörend wirken.

Heute gibt es hervorragende Anleitungen für gewaltfreie Kommunikation: Lektüre, Kurse, Seminare.

Jesus hat ganz gewiss auch den Pharisäern und Lehrern der religiösen Gesetze zugestanden zu lernen, zu reifen und zu wachsen. Wie er allgemein mit Menschen einfühlend, verständnisvoll, gütig und menschenwürdig umgegangen ist, so war er auch zu denen, die ihm nach dem Leben trachteten, weil sie seine Gottesverkündigung als Bedrohung ihrer eigenen Lehre, religiösen Gesetze, Rituale und Traditionen gesehen haben.

Was Jesus hier thematisiert, sind allgemein menschliche Fehlhaltungen. Darüber hat er hier nicht angriffig (wie dargestellt), sondern ruhig und besonnen gesprochen.

Jesus war Seelsorger und Therapeut. Anklagen, Schuldzuweisungen, Richten, zum Sünder Stempeln, Verurteilungen, Bußauferlegungen sind überhaupt nicht heilend, daher Seelsorger:innen und Therapeut:innen absolut fremd. Seelsorger:in und Therapeut:in fragen ihren Klienten: 'Was fehlt dir?' 'Worunter leidest du?' Diesen Fragen gehen sie in der therapeutischen Begleitung auf den Grund. Sie begleiten den Heilungsprozess von innen her.

Was fehlt jemandem, der heuchelt, nach außen Gefühle vortäuscht, die gar nicht in ihm sind? Worunter leidet jemand, der unsichtbare Masken aufsetzt, sich verstellt, falsche Tatsachen vorspielt? Worunter leidet ein Scheinfrommer, Doppelzüngiger und Doppelmoralist? Was fehlt einem Menschen, der dauernd Aufmerksamkeit sucht und im Mittelpunkt stehen will, der den vorderen Platz, die Bühne, das Mikrofon, Beifallklatschen und Herausgehobenheit braucht?

Jesus hat geheilt mit Güte, Menschlichkeit, Wertschätzung, aufmerksamem Zuhören, Einfühlen, Verstehen, gewaltfreier Kommunikation und Vergebung, mit heilenden Umarmungen und Berührungen.

Menschen mit schwachem Ich, geringem Selbstwert, fehlender Selbstliebe und Selbstachtung ist Jesus begegnet mit seiner heilenden Gottesverkündigung. Er hat Menschen zugesprochen, dass sie von Gott unendlich geliebt und angenommen sind, dass Gott ihnen unverlierbare Würde und und grenzenlosen Wert schenkt - immer schon.

Auch auf die, die ihm schließlich nach dem Leben trachteten, ist er mit seiner Gottesverkündigung zugegangen. Sie haben den müttlerlich und väterlich ewig liebenden Abba noch nicht erkannt und noch heftig abgelehnt.

Der ewig Liebende hat auf ihre Umkehr geduldig gewartet.