Liebe ist kein Gesetz

Matthäusevangelium 22, 34-40

Kommentar

Die Liebe ist das Größte, das Höchste, das Schönste, das Allerheiligste, weil sie das Wesen Gottes ist. Deshalb, und weil ihr Name so oft nicht ihrer Bedeutung entsprechend verwendet wurde und wird, vermeiden wir aus Ehrfurcht vor ihr nach Möglichkeit, das Wort „Liebe” auszusprechen. Wir umschreiben sie als bejahende Zuwendung, als Hingabe, als Annehmen, als sich Verschenken, als Gnade.

Liebe kann nicht per Gesetz verordnet werden. Sie kann nicht befohlen werden. Denn sie ist ein vollkommen freier, freiwilliger, frei gewählter Akt. Sie ist ein nicht einklagbares Geschenk.

Liebe hat in Gott ihren Ursprung und ihr Ziel. Sie strömt aus Gott heraus seiner ganzen Schöpfung, jedem einzelnen Geschöpf zu. Sie schafft, erhält und vollendet alles Sein und alles Leben. Gottes Liebe ist nicht Lohn und Abgeltung für Verdienste. Sie stellt nicht Bedingungen. Sie setzt keine Fristen. Sie zieht sich nie zurück. Sie fließt in unermesslichem Maß. Sie durchflutet alles. Sie ist in jedem Atom und in jeder Zelle. Sie ist die größte Heilkraft.

Die Liebe Gottes ist, wie Paulus in seinem 1. Brief an die Christinnen und Christen von Korinth ihr Wesen beschreibt: „Sie hat Geduld; sie erweist sich gütig; sie ist nicht mit Neid erfüllt; sie tut nicht groß; sie verhält sich nicht aufgeblasen, hochmütig und überheblich; sie handelt nicht unanständig; sie sucht nicht ihren Vorteil; sie lässt sich nicht zum Zorn reizen; sie rechnet das Böse nicht an; sie freut sich nicht über das Unrecht; sie freut sich aber mit an der Wahrheit; alles hält sie aus und behält sie für sich; alles glaubt sie, alles hofft sie, alles übersteht sie; sie hört niemals auf; nun aber bleibt bestehen Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe.”

Gottes Liebe schafft die Grundvoraussetzung, dass wir uns selber lieben, uns selber bejahen, uns selber in unserer Ganzheit annehmen und gut zu uns selber sein können. Unsere Selbstliebe wiederum ist die entscheidende Voraussetzung für die Nächstenliebe. Nur wer sich selbst bejahen und annehmen kann, kann auch andere bejahen und annehmen. Nur wer zu sich selber warmherzig, gütig, geduldig und sanft sein kann, kann es auch zu anderen sein. Nur wer mit sich selber in Einheit und Frieden leben kann, kann es auch mit anderen.

Das Evangelium Jesu ist weder Moral noch Gesetz. Jesus spricht nicht in einem fordernden „du sollst” und „du musst”, sondern in einem vertrauensvollen „du wirst”.

Auch die Jesusworte „du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken; das ist das wichtigste und erste Gebot; ebenso wichtig ist das zweite: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst” lauten im Originaltext „du wirst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken; das ist das wichtigste und erste Gebot; ebenso wichtig ist das zweite: du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst”.

Das „du wirst” hat zweifache Bedeutung. Einerseits ist damit gemeint: Mensch, wenn du nur ein wenig erfasst hast, dass dir ein unermesslicher göttlicher Gnadenstrom zufließt, dass du von Gott grenzenlos bejaht und angenommen bist, dann wirst du weitergeben, was du empfängst: dir selber und anderen. Andererseits bedeutet es: Du wirst lernen, was dir Gott unverdient schenkt, weiter zu schenken: dir selber und anderen.