Kein Dualismus im Reich Gottes

Lukasevangelium 12, 8-12 - Übersetzung: Die Gute Nachricht Bibel

8 Ich (= Jesus) sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn am Gerichtstag bekennen vor den Engeln Gottes. 9 Wer mich aber vor den Menschen nicht kennen will, den wird auch der Menschensohn nicht kennen am Gerichtstag vor den Engeln Gottes. 10 Wer den Menschensohn beschimpft, kann Vergebung finden. Wer aber den Heiligen Geist beleidigt, wird keine Vergebung finden. 11 Wenn sie euch vor die Synagogengerichte schleppen und vor andere Richter und Machthaber, dann macht euch keine Sorgen darüber, wie ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt. 12 Denn der Heilige Geist wird euch in dem Augenblick eingeben, was ihr sagen müsst.

Dualistisches Denken ist Denken von Menschen, nicht Denken Gottes. Menschen teilen ein in Gute und Böse, Brave und Schlimme, Fleißige und Faule, Anständige und Verdorbene, Fromme und Gottlose, Lichtgestalten und Beelzebuben. Zu den Guten, Braven, Anständigen, Frommen und den Lichtgestalten bekennt sich Gott. Er schenkt ihnen Segen, Güte, Lohn, seinen Geist, den Himmel. Zu den Bösen, Schlimmen, Faulen, Verdorbenen, Gottlosen und den Beelzebuben bekennt sich Gott nicht. Sie haben von ihm nur Strafe, Unheil und Verderben zu erwarten. Das typisch menschliche Denkschema: Wie du mir, so ich dir. Wie schon gesagt, so denken Menschen. Jesus zeigt uns, dass es bei Gott das dualistische Denken nicht gibt.

Das dualistische Denken der Menschen ist im Grunde die Ursache von allem Unheil in der Welt. Am Anfang der Bibel finden wir die Paradieseserzählung. Gott sagt zu den Menschen: Von den Früchten aller Bäume im Garten dürft ihr essen, nur von den Früchten des Baumes in der Mitte nicht. Er ist der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Die Menschen halten sich nicht daran, sie essen die Früchte vom Baum in der Mitte. Sie maßen sich an zu erkennen, was gut und was böse ist. Das ist das dualistische Denken: die Einteilung der Menschen in Gute und Böse. Die Folge ist der Verlust des Paradieses, das zerbrochene Einssein mit Gott, mit sich selbst und mit allen Mitgeschöpfen, die Ursache von Angst und Unheil in allen Formen.

Jesus ist der Weg für alle Menschen heim zum Paradies, zurück zum Einssein mit Gott, zum Einssein mit sich selbst und den Mitgeschöpfen.

Der libanesische Dichter Khalil Gibran hat als Zwölfjähriger das folgende Gedicht mit dem Titel 'Jesus klopft an das Himmelstor' verfasst. Darin lässt er Jesus am Ende seines Lebens vor seinen Abba hintreten und ihm alle Menschen anvertrauen, auch die, denen das Leben übel mitgespielt hat.

Vater, mein Vater, öffne dein Tor! Ich bringe eine glänzende Gesellschaft mit. Öffne das Tor, dass wir eintreten können. Jeder und alle sind wir die Kinder deines Herzens.

Öffne, mein Vater, öffne dein Tor. Vater, mein Vater, ich klopfe an dein Tor. Ich bringe einen Dieb, der heute mit mir gekreuzigt wurde. Denn auch er ist eine sanfte Seele, und er möchte dein Gast sein. Er stahl einen Laib für den Hunger seiner Kinder. Aber ich weiß, das Leuchten seiner Augen würde dir gefallen.

Vater, mein Vater, öffne dein Tor. Ich bringe eine Frau, die sich der Liebe schenkte, und sie hoben Steine auf gegen sie, aber ich kenne dein liebendes Herz und hielt sie zurück. Die Veilchen sind nicht verwelkt in ihren Augen, und dein April ist noch auf ihren Lippen. Ihre Hände halten noch die Ernte deiner Tage, und jetzt möchte sie mit mir eingehen in dein Haus.

Vater, mein Vater, öffne das Tor. Ich bringe dir einen Mörder, einen Mann mit Zwielicht auf dem Gesicht. Er jagte für seine Jungen, aber unklug jagte er. Die Wärme der Sonne war auf seinen Armen, der Saft deiner Erde war in seinen Adern; und er verlangte Fleisch für seine Leute, da Fleisch verwehrt war, aber sein Bogen und Pfeil waren zu schnell, und er beging einen Mord. Darum ist er jetzt bei mir.

Vater, mein Vater, öffne dein Tor. Ich bringe einen Trunkenbold mit, einen Mann, den nach anderm dürstete als dieser Welt. Er wollte sitzen an deiner Tafel, mit einem Becher, Einsamkeit zu seiner Rechten und Verzweiflung zur Linken. Er starrte tief in den Becher und sah deine Sterne gespiegelt im Wein. Und er trank in vollen Zügen, denn er wollte deinen Himmel erreichen. Er wollte sein größeres Selbst erreichen, aber er verirrte sich auf dem Wege und strauchelte. Außen vor der Schenke, Vater, hob ich ihn auf, und er kam mit mir, lachte den halben Weg. Nun ist er in meiner Gesellschaft, doch er weint, denn Freundlichkeit tut ihm weh. Und darum bringe ich ihn zu deinem Tor.

Vater, mein Vater, öffne das Tor. Ich bringe einen Spieler mit, einen Mann, der seinen Silberlöffel in eine goldene Sonne tauschte; und wie eine deiner Spinnen webte er sein Netz und wartete auf die Fliege, die ebenfalls jagt, nach kleineren Mücken. Aber er verlor, wie alle Spieler, und als ich ihn fand, wanderte er auf den Straßen der Stadt. Ich blickte in seine Augen, und wusste, dass sein Silber sich nicht in Gold verwandelt hatte, und der Faden seiner Träume war zerrissen. Ich bot ihm meine Gesellschaft an und sagte zu ihm: 'Siehe die Gesichter deiner Brüder, und mein Gesicht. Komm mit uns, wir gehen zu dem fruchtbaren Land jenseits der Hügel des Lebens. Komm mit uns.' Und er kam.

Vater, mein Vater, du hast geöffnet das Tor! Siehe: meine Freunde, ich habe sie gesucht weit und nah; aber sie waren in Furcht und wollten nicht mit mir kommen, bis ich ihnen deine Verheißung und deine Gnade offenbarte. Nun, da du dein Tor geöffnet hast, und empfangen und willkommen geheißen meine Gefährten, gibt es auf der Erde keine Sünder mehr, getrennt von dir und deinem Empfangen. Es gibt weder Hölle noch Fegefeuer; nur du und der Himmel existieren, und auf der Erde der Mensch, das Kind deines ehrwürdigen Herzens.