Heil statt Strafe

Lukasevangelium 3, 7–18

Der Verfasser des Lukasevangeliums überliefert uns mit diesem Text Ausschnitte der Gottesverkündigung des Täufers Johannes. Sie enthält ethische Aufforderungen an einige Berufsgruppen, was sie tun sollen. Und sie beinhaltet die Ankündigung eines göttlichen Strafgerichtes, das nach Voraussage des Johannes der kommende Messias vollziehen wird: „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.” „Schon hat er die Wurfschaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.”

Der Messias Jesus kommt ohne Axt in seiner Hand. Bei ihm ist keine Rede vom Umhauen unfruchtbarer Bäume. Und ohne Wurfschaufel in Händen. Er spricht nicht vom Trennen der Spreu vom Weizen und vom Verbrennen der Spreu in nie erlöschendem Feuer. Jesus hat in seiner Gottesverkündigung zum einen einen völlig anderen pädagogischen Ansatz als der Täufer Johannes. Er weiß, dass Drohung, Einschüchterung und Strafe Menschen nur verängstigen und mutlos und verzagt werden lassen, ihnen aber nicht wirklich behilflich sind beim Lernen, eben auch nicht beim Lernen des Reiches Gottes. Jesus ist der Lehrer des Reiches Gottes, der die Menschen nicht hart und streng und ungeduldig auf die Wege des Heils zwingt, sondern sie sanft und mild und behutsam die Wege zum ewigen Ziel lernen lässt. Zum anderen füllt Jesus seine Gottesverkündigung mit ganz neuen Inhalten. Er kündet nicht Unheil, sondern Heil an, das sein Abba-Gott für alle Menschen bereithält.

Die Gottesverkündigung und das Wirken Jesu hat Johannes den Täufer irregemacht und zweifeln lassen, ob Jesus denn überhaupt der Messias ist. Davon erzählt uns der Verfasser des Matthäusevangeliums: „Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Schüler zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.”

Wie Johannes der Täufer auf diese Nachricht von Jesus reagiert hat, überliefern uns die Evangelien nicht. Er hat sie wahrscheinlich mitgenommen in sein Sterben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Kreuzigung im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald.

Isenheimer Altar
Isenheimer Altar

Auf diesem Bild sehen wir in Blickrichtung rechts vom gekreuzigten Jesus Johannes den Täufer, der zur Zeit der Kreuzigung Jesu nicht mehr gelebt hat. Aber das ist die Freiheit des Künstlers, der mit seinem Bild etwas aussagen will.

Johannes der Täufer zeigt auf Jesus. Über seiner Hand stehen in lateinischer Sprache seine Worte, die uns der Verfasser des Johannesevangeliums überliefert: „Illum opportet crescere, me autem minui.” Das heißt übersetzt: Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen. Mit diesen Worten sagt Johannes, die Gottesverkündigung Jesu muss groß, seine eigene klein werden. Damit deuten Evangelist und Künstler an, dass Johannes der Täufer zu dem Gott gefunden hat, den Jesus mit seinem Leben, seinem Reden und Wirken bis zur letzten Konsequenz verkündet hat.