Augen auf

Matthäusevangelium 9, 27-31

Zwei ehemalige "Blinde" erinnern sich.

Zehn Jahre sind ins Land gezogen, seit wir unter seinem Kreuz standen, meine Frau Chavah und ich. Ich bin Lior. Chavah bedeutet lebendige Freude, Lior mein Licht. Wie viele andere, denen so wie uns von Jesus aus Nazareth unzählige Male die Augen geöffnet wurden, waren auch wir in seiner Sterbestunde bei ihm. Als er starb, weinten wir. Bald aber gingen uns die Augen aufs Neue auf. Mit unbeschreiblicher Freude wurden wir erfüllt, dass er uns nicht verlassen hat, sondern in neuer Weise in uns lebt.

Aufgewachsen sind wir in einem der zahlreichen Fischerdörfer am See Genezareth. Mit der Muttermilch haben wir die jüdische Religion eingesogen. In jede Zelle unseres Körpers, jede Faser unserer Seele und jeden Winkel unseres Geistes war der strenge Gesetzes- und Richtergott eingeprägt. Wir hatten Angst vor Gott, fortwährend fürchteten wir, eines seiner hunderten Gebote zu übertreten. Mit unseren Eltern gingen wir einmal im Jahr nach Jerusalem, wo wir den Priestern ein Lamm zum Opfern im Tempel brachten. Denn mit Opfern konnte Gott wieder gnädig gestimmt werden, wurde uns gesagt.

Eines Tages teilte uns eine Bekannte mit, dass ein paar Kilometer von uns entfernt ein gewisser Jesus über Gott, über das Leben und die Welt sprechen werde. Er könne die Menschen so begeistern, wie sie es noch nie erlebt hätten. Das machte uns neugierig und wir gingen hin auf jene Anhöhe oberhalb des Sees. Da sahen und hörten wir ihn zum ersten Mal. Er redete lange. Wenn er uns von seinem Abba erzählte, glänzten seine Augen und strahlte sein Gesicht. Und es war, wie wenn aus seinem Inneren Licht ströme.

In seiner großen "Rede auf dem Berg" berichtete Jesus vor einer großen Menschenmenge zuerst von den Tagen, als er in die Wüste hinausging, um leer zu werden von seinen Gedanken und Gefühlen, von seinem Willen und seinem Ich. Dort hat er Gott erfahren als den unbedingt liebenden, bedingungslos vergebenden, unendlich barmherzigen und grenzenlos gütigen Abba. In dieser Zeit hat sich Jesus völlig abgewandt vom Streben nach Macht, Reichtum und Ruhm und sein wahres Selbst und seine Berufung in seinem Herzen gefunden, der Welt die Liebe Gottes in Wort und Tat zu verkünden.

Dann erzählte uns Jesus vom Reich Gottes, von den Wertmaßstäben Gottes. Allein Menschlichkeit und Liebe, legte er uns dar, bringen der Welt im Kleinen wie im Großen Segen und Heil. In Liebe und Menschlichkeit sind alle Gesetze der jüdischen Religion erfüllt, erklärte er uns. Er schenkte uns die Gewissheit, dass wir keine Mittler brauchen zwischen Gott und uns, weil Gott in jedem Menschen wohnt und ewig in unmittelbarer Beziehung zu uns steht.

Oftmals betonte und wiederholte er: Gott will keine Opfer, braucht keine Opfer, um mit uns versöhnt zu sein, sondern will unsere Barmherzigkeit mit allen Geschöpfen. Habt keine Angst vor Gott, im Gegenteil, sprecht eure Sorgen und Ängste aus vor ihm wie Kinder vor ihren liebenden guten Eltern, ermutigte er uns! Gott weiß, was ihr braucht, und er gibt euch das Rechte zur rechten Zeit. Lernt zuerst das Reich Gottes zu leben, das ist das Allerwichtigste! Alles andere, was ihr zum Leben täglich wirklich braucht für Körper, Geist und Seele, wird euch gegeben.

Das war unser Anfang mit Jesus. Schon in dieser ersten Erfahrung mit ihm begannen wir, Gott, uns selbst, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, den Sinn unseres Lebens, die ganze Welt mit neuen Augen zu sehen. Hier trafen wir unsere Entscheidung, Jesus - wann immer es uns möglich war - zu hören und darüber zu staunen, wie würde- und liebevoll er uns begegnete. Das Reich Gottes leben und Vertrauen auf Gott zu lernen und unsere Freude an der Botschaft Jesu weiterzusagen, wurde von da weg unser erfüllendster Lebensinhalt. Nie mehr werden wir damit aufhören.

Jesus hat uns, Chavah und Lior, sehend gemacht für die Herrlichkeit Gottes, für das Wunder seiner geliebten Schöpfung, für die Schönheit des Lebens und der Liebe.

Folgt auch ihr Jesus nach! Und ihr werdet "sehen"!