Alles kann, wer glaubt

Lukasevangelium 9, 37–43a: wortgetreue Übersetzung aus dem griechischen Urtext

37 Es geschah aber am folgenden Tag: Hinabgestiegen waren sie von dem Berg, kam entgegen ihm eine zahlreiche Menge. 38 Und siehe, ein Mann aus der Menge rief, sagend: Meister, ich bitte dich, hinzusehen auf meinen Sohn, weil einziggeboren mir er ist. 39 Und siehe, ein Geist packt ihn, und plötzlich schreit er, und er zerrt hin und her ihn mit Schaum, und kaum weicht er von ihm, aufreibend ihn; 40 und ich bat deine Jünger, dass sie austreiben sollten ihn, und nicht konnten sie. 41 Antwortend aber, Jesus sagte: 0 Geschlecht, ungläubiges und verkehrtes, bis wann soll ich sein bei euch und soll ich ertragen euch? Führe hierher deinen Sohn! 42 Aber noch herankam er, riss ihn der Dämon und zerrte hin und her; herrschte an aber Jesus den Geist unreinen und heilte den Knaben und gab zurück ihn seinem Vater. 43a Gerieten außer sich aber alle über die Großartigkeit Gottes.

Der Vater erzählt

Ich bin Eliam und wohne am Fuße des Berges Tabor. Meine ganze Familie wohnt da seit vielen Generationen. Von meinem Vater habe ich das Zelter- und Ledererhandwerk gelernt und schon als kleiner Junge mitgearbeitet. Wie alle anderen Jungen besuchte ich die Thoraschule einmal wöchentlich und lernte auswendig, was uns der jüdische Rabbi aus den Gesetzesbüchern vorlas. Marjam, meine Frau, zog in mein Elternhaus und gebar mir drei Mädchen und als letztes meinen einzigen Sohn, den Benjamin. Seither ist nichts mehr so, wie es vorher war. Die Geburt des Benjamin dauerte sehr, sehr lange, und ich hatte größte Sorge um das Überleben von Marjam und Benjamin. Er war mein größter Stolz und ich dankte Gott für den Sohn, der unser Handwerk fortführen und meine Zukunft absichern sollte.

Benjamin war ein kränkliches Baby, das nicht genug trinken wollte, viel weinte und von Marjam den ganzen Tag herumgetragen wurde. Eines Tages wurde er in ihren Armen steif, alle Gliedmaßen begannen zu zittern, seine Atmung stockte, und er wurde ganz blau im Gesicht. Es war schrecklich anzusehen, und wir fürchteten, dass er in Marjams Händen sterben werde. Anschließend wurde er völlig schlapp und schlief den halben Tag. Benjamin entwickelte sich nicht wie die gleichaltrigen Jungen, lernte erst spät das Laufen, war ungeschickt, verletzte sich oft und bekam immer wieder diese Schrei- und Schüttelanfälle. Ich ging mit ihm zum Rabbi und bat um Hilfe, jedoch wurde ich schroff abgewiesen. "Dämonen wohnen in Benjamin, die ihn hin- und her schütteln und in ihm schreien", sagte der Gesetzeslehrer, "und gewiss straft euch Gott damit für Sünden aus der Vergangenheit. Ihr seid durch dieses Kind unrein und dürft mit ihm nicht mehr auf den Marktplatz zum Handel mit den Lederwaren gehen."

Im ganzen Dorf tratschte man über uns, manche hinter vorgehaltener Hand, manche schimpften mir offen ins Gesicht. Marjam und ich beschlossen, Benjamin im Hause zu lassen, damit niemand sehen konnte, wie er von den Dämonen geschüttelt wurde. Jedoch sein lautes Schreien war nicht zu verbergen. Ich verrichtete mein Handwerk, und Marjam versuchte alles zu tun, damit niemand Benjamin schreien hören konnte. Benjamin wurde ganz anders - er sprach nicht, hatte Wutanfälle, wenn er nicht sofort bekam, was er wollte, und bekam dann aus lauter Anstrengung einen Schüttelanfall. Je älter er wurde, desto heftiger wüteten die Dämonen in ihm, warfen ihn ins Feuer, in den Wasserkessel, an die Mauerkante, die Stufen hinab. Keine einzige Nacht konnte ich vor lauter Sorge und Angst ausschlafen, wurde selbst immer wütender gegen Marjam, gegen Benjamin und seine Schwestern. Ich wusste nicht mehr aus und ein, niemand konnte mir helfen mit meinem Sohn. Ich opferte bereits viele Hühner, Ziegen und Lämmer, aber Gott nahm kein einziges Opfer an. Nein, so hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Ich verfluchte Benjamin, der mein Leben ruiniert, mich erniedrigt und mir vor allen Leuten und vor Gott Schmach und Schande gebracht hat. Ich verfluchte mein Leben, alles schien schrecklich. Ich wollte gar nicht mehr leben.

Eines Tages hörte ich Leute erzählen von einem Jesus aus Nazareth, dass er so vielen Menschen schon Heil bringen konnte. Und als ich am Rande des Marktplatzes mit meinen Lederwaren saß, da hörte ich von weitem eine Menschenmenge kommen. Jesus sei mit seinen Anhängern unterwegs vom Berg herab, direkt in unser Dorf. Ich zögerte keinen Augenblick, ließ alles liegen und stehen und lief mit den anderen mit, Jesus entgegen. Wie von selbst begann ich lauthals zu schreien: "Jesus hilf mir, Jesus hilf mir mit meinem Sohn, er ist mein einziger!" Ich hörte gar nicht auf zu rufen, und mir wurde meine Hilflosigkeit plötzlich bewusst. "Meister, ich bitte dich, hilf mir in meiner Not mit meinem Sohn!" Und plötzlich stand Jesus direkt vor mir, sah mich an, berührte mich zur Beruhigung am Arm und wandte sich mir warmherzig zu. Er ließ mich erzählen von den Dämonen, die von meinem Sohn Besitz ergreifen, ihn hin- und herwerfen und in ihm schreien, und dass Gott meine Opfergaben nicht annehmen will, und mein ganzes Leben ruiniert und verpfuscht sei. Jesus hörte mir feinfühlig zu, nickte wohlwollend mit dem Kopf und fragte einfühlsam weiter. Jesus merkte, dass ich am Ende meiner Kräfte war und sprach: "Bring mir doch deinen Sohn!" Erstaunt, dass Jesus meinen Erzählungen Glauben schenkte und als wichtig erachtete, antwortete ich: "Ja, Meister - ich schätze mich glücklich, dass du mich erhörst - ich laufe gleich, meinen Sohn zu holen." Benjamin war so überrascht, dass er gar nicht verstand, was ich von ihm wollte, dass er mit mir mitgehen solle zu diesem Jesus, dem Heiler. In der ganzen Aufregung begannen genau in dem Moment, in dem ich Benjamin zu Jesus brachte, die Geister in ihm zu zerren und warfen ihn vor Jesus. Jesus beugte sich nieder zu Benjamin, streichelte beruhigend über seinen Kopf, seinen sich schüttelnden Körper und sprach: "Benjamin, du bist ein geliebter Sohn Gottes. In dir ist kein einziger Dämon. Du bist von keinem bösen Geist besessen. Gott liebt dich, so wie du bist. Du bist nicht unrein. Gott straft dich nicht und auch deinen Vater und deine Familie nicht. Dein Vater hat dich lieb, er kann es nur nicht zeigen, weil er selbst so verzweifelt über seine Hilflosigkeit ist." Dann hob Jesus Benjamin hoch, trug ihn in mein Haus und ließ ihn auf seinem Schoß schlafen, während er mir von der unendlichen Güte und Liebe Gottes erzählte. Da hörten auch meine drei Töchter und Marjam zu. Jesus sprach mich an: "Gott segnet dich und deine Familie. Er liebt dich, deine Frau Marjam und deine Kinder bedingungslos. Wegen Benjamins Krankheit mach dir keine Sorgen. Er muss nicht dein Handwerksgewerbe übernehmen. Es wird sich für ihn etwas finden, was er gern macht und ihm nicht zu anstrengend ist. Du hast drei gesunde Töchter, die dich liebhaben und von dir wie dein Sohn angenommen und geliebt sein dürfen."

Der vierzehnjährige Sohn blickt zurück

Als ob es gestern gewesen wäre, erinnere ich mich noch genau an den Tag unserer ersten Begegnung mit Jesus vor zwei Jahren. Es war ein Markttag. An diesem Tag begleitete ich meinen Vater auf den Marktplatz. Mein Vater betreibt Handel mit Lederwaren.

Seit meiner frühen Kindheit hatte ich in unterschiedlichen Zeitabständen unkontrollierte Krampfanfälle mit heftigen Muskelzuckungen am ganzen Körper. Meistens war ich wie weggetreten, unfähig zu sprechen und kurzzeitig besinnungslos. Wenn in unserer Gegend den Menschen etwas unerklärlich ist, sehen sie dahinter das Wirken von Geistern. Auch meine Eltern glaubten so.

Ich bin der einzige Sohn meiner Eltern. Von meinen Kindertagen an setzte mein Vater die Hoffnung in mich, dass ich eines Tages sein Erbe übernehme, eine Familie gründe, Kinder habe, unseren Stamm fortsetze und meine Eltern in ihrem Alter versorge. Mit einem besessenen Sohn musste er allerdings seine Hoffnungen begraben. Dieser Druck war immer eine schwere Belastung für mich, die meine Krankheit verschlimmerte. Das sehe ich heute deutlich.

Bei jedem meiner Anfälle weinten meine Eltern, besser gesagt, sie schrien in ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung. Sie lebten in ständiger Angst vor meinem nächsten Anfall, dass ich mich verletze, wenn ich zu Boden falle, und mein Körper hin und her taumelt. Deshalb hielt mich mein Vater oft fest und drückte mich gewaltsam nieder, wenn ich einen Anfall hatte. Wer sich ein bisschen in mich einfühlen kann, spürt vielleicht ein wenig, wie es mir dabei ging.

Dazu kam, dass sich meine Eltern wegen ihres besessenen Sohnes schämten. Am liebsten hätten sie mich zu Hause ständig eingesperrt, um mich von der Öffentlichkeit fernzuhalten.

Mein Vater schleppte mich zu verschiedenen Ärzten, Wunderheilern und fragwürdigen Geisterbeschwörern. Keiner konnte mir helfen.

Auch Vorwürfe bekam ich besonders von meinem Vater immer wieder zu hören: "Lass dich nicht so gehen! Reiß dich zusammen! Du bringst nur Schande über uns." So als hätte ich meine Anfälle absichtlich herbeigeführt! Da entstanden in mir oft Wut- und Hassgefühle gegenüber meinem Vater.

Dann kam jener Tag vor zwei Jahren. Es wurde ein glücklicher Tag meines Lebens. Ausnahmsweise durfte ich meinen Vater zum Marktplatz begleiten. An diesem Tag kam Jesus in unseren Ort. Mein Vater eilte ihm entgegen und sprach mit ihm. Dann holte er mich zu Jesus. In diesem Augenblick erlitt ich wieder einen Schüttelkrampf. Schnell versammelte sich eine Menge Schaulustiger um mich. Einer unter ihnen rief laut: "Der ist von einem bösen Geist besessen. Holt jemanden, der ihm den Teufel austreiben kann!"

Mehr hilflos schreiend als weinend und klagend flehte mein Vater Jesus an: "Gottesmann, bitte heile meinen Sohn! Bitte heile meinen Sohn, heile meinen Sohn, heile meinen Sohn!" Jesus kam zu mir und kniete sich neben mich. Tränen kamen in seine Augen. Die Leute rundherum wurden still. Nach einer längeren Weile des Schweigens blickte Jesus meinen Vater an und sagte ihm: "Vater, hab keine Angst! Fürchte dich nicht! Gott ist bei euch. Dein Sohn ist sein geliebtes Kind. Er hält ihn in seinen Armen und lässt ihn niemals herausfallen. Vertraue ihm! Vertraue ihm!"

Da hörte mein Krampfanfall auf. In diesen Momenten ging von Jesus eine wunderbare Einfühlsamkeit aus und ein befreiendes Angenommensein, wie ich es nie zuvor erfahren habe. Ich spürte das, als würde mich eine außergewöhnliche Kraft von allen Seiten umgeben.

Dann hob mich Jesus auf und trug mich in unser Haus. In seinem Schoß schlief ich ein. Das war der Anfang meiner Heilung. Die Anfälle wurden seltener und hörten schließlich ganz auf.

Am folgenden Tag erzählte mein Vater, dass auch er das unermessliche Einfühlen und tiefe Gottvertrauen Jesu stark in seinem Herzen empfunden hat.

Später erfuhren wir, dass die Leute auf dem Marktplatz, die unsere Begegnung mit Jesus erlebt hatten, sagten: "So etwas haben wir noch nie gesehen. Gott ist groß!"