Kommentar zu Matthäus 18, 21-35 und 19, 1-2

Das Gleichnis Jesu vom barmherzigen König und seinem unbarmherzigen Diener überliefert nur das Matthäus-Evangelium. Um den Sinn dieses Gleichnisses zu verstehen, muss man sich den Unterschied zwischen den beiden Schuldbeträgen klarmachen: 10000 Talente gegen 100 Denare. 10000 Talente waren das 600000-fache von 100 Denaren. Verglichen mit unserer Währung: 40 Millionen Euro zu 66 Euro.

Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal?: Die jüdischen Rabbinen lehrten, man müsse seinem Bruder (= Mitmenschen) zweimal oder dreimal vergeben. Siebenmaliges Vergeben war im Vergleich dazu schon eine große Steigerung. Sieben kann auch die Symbolzahl der Vollkommenheit bedeuten. Dann fragt Petrus nicht danach, wie oft er vergeben müsse, sondern ob die Vergebung vollkommen sein muss.

Jesus sagte ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal; Das bedeutet immer und ganz, nicht halbherzig. Jesus geht es um die ganze Vergebung. Sie bezieht sich einerseits auf die Zahl, also IMMER, und andererseits auf die Eigenschaft der Vergebung, also GANZ, VOLLKOMMEN.

wie mit einem König, der beschloss, von seinen Dienern Rechenschaft zu verlangen: Es handelte sich um einen griechischen oder römischen König. Bei "Diener" ist hier nicht an einen Sklaven, sondern an einen Minister oder hohen Beamten am Königshof zu denken. Vielleicht handelte es sich um einen Statthalter einer großen Provinz, der dem König den Steuerertrag seiner Provinz schuldig geblieben war.

10000 Talente: Das Talent war keine Münze, sondern die Bezeichnung für die festgelegte Geldsumme von 6.000 Drachmen. Eine Drachme (= eine antike Münze, meist aus Silber) war der übliche Tageslohn eines Arbeiters. 10000 Talente kamen also dem Lohn von 60 Millionen Arbeitstagen oder 164383 Arbeitsjahren ohne freien Tag gleich. Zehntausend war für die damaligen Verhältnisse die größtmögliche Zahl, die man sich denken konnte. Es handelte sich also um eine riesige, alle Vorstellungen überschreitende Schuldensumme, die der Schuldner nie und nimmer begleichen konnte.

ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen: Nur nach römisch-griechischem Recht war es damals möglich, jemanden mit Frau und Kindern zu verkaufen. Im jüdischen Raum war der Verkauf der Ehefrau völlig verboten. Das zeigt, dass sich die Begebenheit, die das Gleichnis schildert, nicht in Israel, sondern irgendwo im römisch-griechischen Ausland abgespielt hat.

Da fiel der Diener vor ihm auf die Knie: Mit dem Sich-Niederwerfen brachte er zum Ausdruck, dass er seinem Herrn völlig ausgeliefert war. Sich-Niederwerfen war die eindringlichste Form der Bitte.

Ich werde dir alles zurückzahlen: Niemals hätte er die Summe von 10000 Talenten aufbringen und zurückerstatten können.

Unter dem "anderen Diener" ist ein kleiner Unterbeamter zu verstehen, dem die Aufbringung der geringen Schuldsumme von 100 Denaren Schwierigkeiten machte.

100 Denare: Ein Denar entsprach in etwa dem Wert einer Drachme, also dem Lohn für einen Arbeitstag. Im Vergleich zu den 10000 Talenten waren die 100 Denare eine Lächerlichkeit, nämlich nur der sechzigtausendste Teil.

ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe: Das war nach römischem, nicht nach jüdischem Recht möglich. Das ist ein weiterer Hinweis, dass sich die Begebenheit nicht in Israel zugetragen hat.

Als die übrigen Diener das sahen, waren sie sehr betrübt: Es war die Trauer über die scheinbare Ohnmacht der Barmherzigkeit, das unbarmherzige Herz zu überwinden.

Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten: Die auch nach römischem Recht möglichen Folterungen während der Haft sollten den Schuldner zwingen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die Schuldensumme irgendwie zusammengebracht wurde. Die Strafe der Folterung gab es in Israel nicht. Noch einmal wird hier deutlich, dass in dieser Gleichniserzählung nicht-palästinische Verhältnisse geschildert wurden.

Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt: Die Strafe für unbarmherziges Verhalten kommt nicht von Gott. Der unbarmherzige Mensch straft sich selbst. Nicht erst im Jenseits, sondern hier und jetzt, weil er hier und jetzt in einer unbarmherzigen, gnadenlosen und grausamen Welt leben muss. Das ist eine furchtbare Strafe.