Vergeben - immer und ohne Abstriche

Matthäusevangelium 18, 21-35 und 19, 1-2

Kommentar

Jemand hat einen anderen sehr gekränkt und nun hat er Schuldgefühle. Einen Tag später entschließt er sich, zum anderen zu gehen und ihn um Verzeihung zu bitten. Der andere sagt ihm: „Du brauchst mich nicht um Verzeihung zu bitten, ich habe dich nämlich weder angeklagt noch schuldig gesprochen noch verurteilt. Mach dir keine Sorgen! Zwischen uns beiden ist alles gut.” Erleichtert und froh geht er vom anderen weg. Nach einiger Zeit aber kommen ihm Zweifel, ob ihm der andere wirklich vergeben hat, und neuerdings quälen ihn Schuldgefühle. Darum beschließt er, noch einmal zum anderen zu gehen und ihn um Vergebung zu bitten. Da sagt der andere: „Ich habe dir doch schon gesagt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Zwischen uns ist alles gut.” Darauf geht er wieder beruhigt und glücklich vom anderen weg. Aber nach etlichen Tagen kehren seine Schuldgefühle zurück und auch die Zweifel, ob ihm der andere tatsächlich verziehen hat. Also macht er sich ein drittes Mal auf den Weg zum anderen und bittet ihn um Vergebung. Da wird der andere traurig und sagt zu ihm: „Du nimmst mich nicht ernst. Sag, wie oft muss ich dir noch sagen, dass zwischen uns alles in Ordnung ist!? Wieso vertraust du mir nicht!?” Nun geht er zum dritten Mal befreit und freudig vom anderen weg. Aber immer wieder überkommen ihn die Zweifel und die Schuldgefühle und immer wieder geht er zum anderen und bittet um Vergebung. Und jedes Mal sagt ihm der andere das Gleiche: „Mach dir keine Sorgen! Zwischen uns ist alles gut.”

So wie dieser Mensch verhalten wir uns Gott gegenüber, wenn wir ihn ständig anflehen: „Erbarme dich unser! Sei uns gnädig! Verzeihe uns! Verschone uns!” und nicht vertrauen, dass er uns grenzenlos vergibt - immer schon und ohne Bedingungen.

Nie klagt Gott uns an, nie spricht er uns schuldig, nie verurteilt er uns. Darum braucht er von uns die Bitten um Erbarmen und Vergebung nicht. Auf Gott trifft nämlich hundertprozentig zu, was Jesus in diesem Evangelium dem Petrus auf seine Frage antwortet, ob wir den Mitmenschen etwa sieben Mal verzeihen müssen. „Nicht sieben Mal”, sagt Jesus, „sondern siebenundsiebzig Mal. Das bedeutet: Immer und ohne Einschränkung.” So vergebend ist Gott. Seine Gnade ist unbefristet und grenzenlos. Von Gott ist uns vergeben, immer schon, nicht erst nach Vergebungsbitten, nicht erst nach Reue und guten Vorsätzen.

Unser Problem ist unser mangelndes Vertrauen auf die unendliche Gnade Gottes. Wir tun uns so schwer, daran zu glauben, dass Gott zu uns voraussetzungslos und bedingungslos sein Ja sagt und uns annimmt und uns seine unbegrenzte Vergebung schenkt. Er gibt uns seine Gnade in einem Ausmaß, das alle Begriffe übersteigt.

Mit dieser Gabe ist für uns allerdings eine Aufgabe verbunden. Diese Aufgabe ist der Inhalt des Gleichnisses Jesu in diesem Evangelium. Da sagt der König zu seinem Diener, dem er seine ganze Schuld erlassen hat: „Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?” Dieser Satz ist der springende Punkt in diesem Gleichnis. Das ist uns aufgegeben: zu lernen, dass Gott ohne Grenzen gütig zu uns ist, und zu lernen, gütig zu sein und einander zu vergeben, wie Gott uns vergibt, nämlich immer und ohne Abstriche.