Lamm Gottes
Johannesevangelium 1, 29-34
Kommentar
Ein Vater hatte zehn Kinder. Neun von ihnen waren böse. So sah sie der Vater. Oft dachten sie Böses, redeten Böses und taten Böses. Ein Kind war gut. So sah es der Vater. Immer dachte es Gutes, redete es Gutes und tat es Gutes. Der Vater hatte seine helle Freude an ihm. Auf die neun anderen Kinder aber war er böse und beleidigt. Er mochte sie nicht. Er nannte sie seine ungeliebten Kinder. Nur das eine, das gute Kind mochte er und sagte immer wieder zu ihm: Du bist mein geliebtes Kind. Nach außen hin sagten alle zehn Kinder, dass sie ihren Vater liebten. In ihrem Inneren aber hatten sie große Angst vor ihm und hassten ihn. Eines Tages sagte der Vater zu seinem guten Kind: Deine neun bösen Geschwister haben für ihre Bosheiten den Tod verdient. Wenn du stellvertretend für sie stirbst, wenn du dein Blut für sie vergisst, dann werde ich deinen Geschwistern vergeben. Dann werde ich sie begnadigen und werde wieder gut zu ihnen sein. Das gute Kind gab sein Leben geduldig wie ein wehrloses Lamm. Und der Vater begnadigte seine neun bösen Kinder und vergab ihnen alles Böse, das sie verübt hatten.
Ist dieser Vater ein guter Vater zu nennen? Nein! Niemals! Ist dieser Vater als liebender Vater zu bezeichnen? Nein! Niemals! Für diesen Vater gibt es nur eine Diagnose: Krank. Heilung dringend notwendig!
Das Bild dieses krankhaften Vaters wurde und wird auch auf Gott übertragen. Menschen glaubten und glauben, Gott brauche und verlange Opfer - Tierblut, Menschenblut und tägliche Verzichtsopfer -, damit er den Menschen ihre Sünden vergebe und wieder gut mit und zu ihnen sei. Und sie brachten und bringen Gott ihre vielfältigen Opfer dar. Dahinter steht die Vorstellung von Gott als einem Sadisten, als einem Blutrünstigen. Der Gott, zu dem Jesus Abba sagt, Vater, Papa, lieber Vati hat mit diesem Grausamen überhaupt keine Gemeinsamkeit. Der, zu dem Jesus Abba sagt, sagt uns die Worte: Eure Warmherzigkeit will ich und schätze ich, nicht eure Opfer. Anstatt euch mit irgendwelchen Opfern abzumühen und zu quälen, strengt euch lieber an, Warmherzigkeit zu lernen.
Jesus ist der, der die Zielverfehlungen der Menschen hinweg nimmt - in wörtlicher Übersetzung -, der die Zielverfehlungen der Menschen wegträgt und fortschafft, aber nicht mit seinem Blut, sondern mit seiner bedingungslos und grenzenlos bejahenden Zuwendung, die sich hingibt und verschenkt bis zum Äußersten. Aber wir dürfen deshalb die Hände nicht in den Schoß legen und denken: Jesus hat schon alles für uns gerichtet. Ja, von seiner Seite aus ist alles getan. Das Heil, die Fülle des Lebens ist uns von ihm geschenkt aus reiner Gnade, nämlich unverdient und voraussetzungslos. Aber dennoch haben wir eine Aufgabe. Wir müssen lernen, wachsen und reifen Schritt für Schritt. Unsere Herausforderung besteht darin, den Weg Jesu zu lernen, kennenzulernen und zu erfassen und ihn in unserem Leben umzusetzen. Wir müssen ihm nachgehen und nachfolgen lernen auf seinem Weg. Wir haben ja größte Sehnsucht danach, das große Ziel nicht zu verfehlen, sondern einmal anzukommen daheim am Ziel unserer tiefsten Träume nach dem wahren Leben, nach Ganzheit und Vollendung, nach vollendeter Glückseligkeit. Auf unserem Lernweg lässt uns Jesus keinen Augenblick allein gehen. Er ist bei uns. Er ist in uns. Sein Geist lebt in uns. Jesus geht mit uns und hilft uns, dass wir unsere Umwege und Irrwege immer besser erkennen und den zielführenden Weg finden.