Mit kindlicher Offenheit Gottes Geheimnis erahnen

Matthäusevangelium 11, 25-30

Kommentar

Das ist unsere Überzeugung: Auch wenn wir alles, was über Gott gedacht und gesagt, über Gott geschrieben und mit Mitteln der Musik und Kunst über ihn zum Ausdruck gebracht wurde, bis in alle Einzelheiten wüssten und verstünden, würden wir dennoch das Wesen Gottes, seine Herrlichkeit und Schönheit, seine Größe und Weisheit, seine Güte und Freundlichkeit, seine wunderbaren Pläne und Entscheidungen in diesem Leben nicht erfassen. Denn Gott ist der ganz Andere. Das Geheimnis Gottes übersteigt unser Denk- und Vorstellungsvermögen unendlich. Wir hielten es für anmaßend, zu glauben, wir könnten Gott mit unserem Verstand, unserer Geistes- und Gedankenkraft erkennen.

Wir können uns dem Geheimnis Gottes vertrauend, ahnend und staunend nur nähern, indem wir uns ihm ganz öffnen, so wie eine Blüte sich zur Sonne wendet, sich ihr entgegenstreckt und sich ihr ganz auftut. Die Blüte macht nicht nur ein einziges Blütenblatt oder nur einige wenige Teile auf, sondern geht ganz auf.

Uns wahrhaft Gott zu öffnen umfasst uns ebenso ganz, den ganzen Menschen mit unserer ganzen Existenz, unserem ganzen Sein und Leben, mit Körper, Geist und Seele, mit Vernunft und Verstand, mit Gemüt und Gefühlen, mit Herz und allen Sinnen, mit unseren hellen und dunklen Seiten, mit unseren Mängeln und Beeinträchtigungen, mit unseren Grenzen und unserer Unvollkommenheit, einfach mit allem, was wir sind, und was zu uns gehört. Das alles beinhaltet der Begriff „das gläubige Herz”. Das gläubige Herz ist nicht ein Teil von uns, sondern meint uns ganz, unsere Ganzheit.

Das gläubige Herz ist zu vergleichen mit der Offenheit eines Kindes. Seine Denk- und geistige Erkenntnisfähigkeit ist noch nicht entwickelt, aber es erfasst, nimmt wahr, „sieht”, empfindet, spürt mit seiner ganzheitlichen und unverbildeten Offenheit, mit seiner kindlichen Einfachheit und Unbefangenheit, mit seinem ursprünglichen Urvertrauen und seiner spielerischen Freude. Meint Jesus unter anderem diese Offenheit der Kinder, wenn er uns sagt: „Ihr kommt in das Himmelreich, wenn ihr wie Kinder werdet”?

Wer sich Gott wie die Blüte der Sonne ganz auftut, erahnt etwas, erfährt etwas, spürt etwas von dem Geheimnis, das wir Gott, Himmel und Reich Gottes nennen, etwas von seinem Wesen, etwas von seiner Herrlichkeit und Schönheit, von seiner Größe und Weisheit, von seiner Güte und Freundlichkeit, von seinen wunderbaren Plänen und Entscheidungen.

Wer sich Jesus wie die Blüte den Sonnenstrahlen ganz auftut, findet zur Ruhe, die er uns in diesem Evangelium verspricht. Das Wort „Ruhe” bedeutet hier weit, weit mehr als Verschnauf- und Arbeitspause, weit, weit mehr als Urlaub und vorübergehendes Ausspannen. „Ruhe” steht hier für den inneren Zustand von Seelenruhe und Seelenfrieden, für „in unserer Mitte sein”, für „bei uns selber sein”, für „weg von aller inneren und äußeren Getriebenheit und Ruhelosigkeit”, für das Abwerfen allen unnötigen Ballastes und das Ablegen aller Lasten, die uns einengen, niederdrücken und uns das Leben schwer machen, für das Ende allen Suchens nach Sinn und Glück und für das Ankommen am Ziel vollkommener Freiheit und Gelöstheit, vollendeter Freude und Glückseligkeit, am Ziel uneingeschränkter Erfüllung unserer tiefsten Sehnsüchte und ewiger Beheimatung.