Jesus lebt
Matthäusevangelium 28, 1–15
Die Evangelien sind keine Mitschriften von dem, was Jesus gesagt hat, und keine Protokolle über das, was er getan, und was sich mit ihm ereignet hat. Es handelt sich um persönliche Deutungen der Jesusgeschichte durch Menschen. Darum trägt jedes der vier Evangelien die persönliche, einzigartige Handschrift seines Verfassers.
Die Osterevangelien von der Entdeckung des leeren Grabes Jesu und den Erscheinungen des auferstandenen Jesus vor verschiedenen Menschen sind ebenfalls keine Liveberichte, sondern darin wird in bildhafter und symbolischer Ausdrucksweise erzählt, dass Menschen zum Glauben an die Auferstehung Jesu gefunden haben.
Die Erscheinungen des auferstandenen Jesus sind keine irdischen, geschichtlichen, äußeren Erlebnisse, die mit den Dimensionen von Raum und Zeit zu erfassen sind, sondern überirdische, übergeschichtliche, innere Erfahrungen von Menschen. Deshalb tun sich die, die die Erscheinungen des Auferstandenen erfahren haben, so schwer, das Erfahrene zu beschreiben. Diese Erfahrungen mit Worten wiederzugeben, ist im Grunde unmöglich. Daher sind die Ostertexte in den Evangelien so verschieden und teilweise auch so widersprüchlich.
Durch die Entdeckung des leeren Grabes, durch die Botschaft von Himmelsboten und durch Erscheinungen des auferstandenen Jesus sind Menschen damals zur Überzeugung gelangt, dass Jesus lebt.
Wie kommen wir heute zur Überzeugung, dass Jesus lebt, die wir das leere Grab Jesu nicht sehen können, und denen weder Botschaften von Himmlischen noch Erscheinungen des auferstandenen Jesus zuteilwerden? Dadurch, dass wir den Erzählungen derer Vertrauen schenken, die als erste geglaubt haben, dass Jesus lebt? Ja, denn sie sind für uns glaubwürdig. Aber es braucht noch mehr. Der vertiefte, echte Glaube bedarf immer auch der ganz persönlichen Erfahrungen.
Lange schon beschäftigen wir uns mit den Texten der vier Evangelien. Je tiefer wir uns in sie versenken, umso mehr Faszination übt Jesus auf uns aus, und umso mehr erfüllt uns mit Begeisterung, was er gesagt und getan hat, vor allem wie er es gesagt und getan hat. Das lässt in uns die feste Überzeugung wachsen, dass das Jesusgeschehen mit dem Sterben Jesu nicht beendet und ausgelöscht worden sein kann, und dass Gott das alles, was Jesus unserer Welt verkündet hat, nicht verloren gehen lässt. Das Evangelium Jesu ist eine so großartige, herrliche Botschaft für uns und die ganze Welt. Wir halten sie überhaupt für die schönste und wunderbarste Botschaft, die unsere Welt je zu hören bekommen hat. Das Bild Jesu vom unendlich warmherzigen Gott, der sich mit grenzenloser Zuwendung allen seinen Geschöpfen bedingungslos hingibt, darf nie in Vergessenheit geraten. Jesus sprach Gott an mit dem Kosenamen „Abba”, Papa, Vati. Er vertraute aus tiefstem Herzen, dass sein Abba ihm treu ist, ihn hält und trägt und ihn niemals verlässt - auch im Leiden und im Sterben und über das Sterben hinaus nicht. Jesus war beseelt von dem unbeirrbaren Glauben, dass sein Abba keines seiner Geschöpfe fallen und verloren gehen lässt.
Jesu Leben, sein Reden und Tun, sein Erzählen von Gott, sein Vertrauen auf seinen Abba, sein herzvolles Zugehen auf die Menschen und sein heilender Umgang mit ihnen sind für uns so wahr und echt, so glaubhaft und überzeugend, dass wir gewiss sind: Jesus ist nicht tot. Jesus lebt. Er lebt nicht irgendwo, sondern in uns, in unserer Herzensmitte. Er ist immer bei uns, so wie er es seinen Schülern und allen Geschöpfen versprochen hat: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.