Gnade über Gnade

Johannesevangelium 1, 1–18

Kommentar

luise/pixelio.de

Diesen Text hat der Verfasser des vierten Evangeliums als Vorwort an den Beginn seines Evangeliums gestellt. Gleichsam wie in einer Ouvertüre lässt er anklingen, worum es in seinem Evangelium geht. Sozusagen in Kurzform beschreibt er damit den Inhalt seines ganzen Evangeliums.

Jesus ist das Wort. Er ist das lebendige Wort Gottes. Als der Gottmensch Jesus von Nazareth brachte er mit seinem Leben, mit seinen Worten und Taten, Kunde von Gott, der für uns unbegreiflich ist, der alle Vorstellungen und Bilder, die sich Menschen von ihm machen, unendlich übersteigt. Jesus von Nazareth machte Gottes Wesen der Welt offenbar und zeigte Gottes Herrlichkeit.

Aus der Ewigkeit trat Jesus in die Zeit und Geschichte unserer Welt ein. Ewigkeit bedeutet nicht immerwährende Zeit mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern zeitloser Augenblick, zeitloses Jetzt.

Jesus ist das Leben. Aus ihm strömt Leben. Er ist die Quelle allen Lebens und der Ursprung der ganzen Schöpfung. Die Schöpfung ist nicht nur ein Ereignis in uralter Vergangenheit. Sie ist nicht abgeschlossen, sondern geschieht andauernd. Ständig werden neue Geschöpfe hervorgebracht und geboren. Alle verdanken ihr Sein dem Urheber allen Lebens, ob sie es wissen oder nicht.

Jesus ist das Licht. Das wahre, echte, wirkliche, unvergängliche Licht. Aus ihm strömt Licht. Er ist die Quelle und der Ursprung allen Lichtes. In Jesus gibt es keine Dunkelheit und keine Finsternis. Sein Licht ist in jedem Atom und in jeder Zelle und erleuchtet jeden Raum unserer Seele und unseres Geistes und jede Zone unseres Körpers.

In Jesus von Nazareth wurde Gott Mensch und lebte eine Zeit lang als Mensch unter Menschen. In ihm kam Gott als Mensch in sein Eigentum, in seine Schöpfung, zu den Seinen.

Wir sehen in diesem Evangelium zwei Kernsätze. Der erste lautet: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben worden, die Gnade und die Wahrheit sind durch Jesus Christus gekommen.” Und der zweite heißt: „Aus seiner Fülle empfangen wir alle Gnade über Gnade.”

Jesus von Nazareth hat im Vergleich zum Alten Testament grundlegend Neues gebracht. Das Alte Testament ist Gesetzesreligion und beinhaltet eine Fülle von Geboten und Verboten. Dem alttestamentlichen Menschen kommt es darauf an, die vielen religiösen Vorschriften genau einzuhalten. Er glaubt, sich damit Gottes Lohn und Heil zu erwerben und zu verdienen. Ganz anders Jesus von Nazareth: Er stellt die Gnade über das Gesetz. Gnade ist bedingungsloses, unverdientes Geschenk. Gott ist Gnade, volle Gnade. Durch Jesus fließt uns der unermessliche göttliche Gnadenstrom zu: Gnade über Gnade. Wir müssen uns das Heil nicht verdienen, nicht mühsam erarbeiten, es wird uns von Gott geschenkt: gratis!!! Das Wort „gratis” kommt vom lateinischen Wort für Gnade: gratia. Was wir tun müssen, ist zu lernen, Herz und Seele zu öffnen und Gottes Gnade in uns einströmen zu lassen.

In diesem Evangelium heißt es: In Jesus von Nazareth kam Gott zu den Seinen. Aber nicht alle von den Seinen verstanden seine Botschaft der Gnade. Und sie lehnten sie ab. Sie blieben lieber in der Gesetzesreligion. Das ist bis heute so. Noch immer werden da und dort religiöse Vorschriften, Gebote und Verbote, über die Gnade gestellt. Da wird Jesus noch immer nicht verstanden.

Alle aber, die Jesu Gnadenbotschaft annehmen und sich der Gnade Gottes öffnen, sind Gottes Kinder. Denn Gottes Kind sein heißt: sich von Gott mit seiner Gnadenfülle beschenken zu lassen.