Esplanchnísthê
oder: Jesus der Seelsorger

Text: Matthäusevangelium 9, 35-38 und 10, 1-8 - Übersetzung: Elberfelder Bibel

35 Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer und lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen. 36 Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und verschmachtet waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. 37 Dann spricht er zu seinen Jüngern: Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. 38 Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussendet in seine Ernte! 10,1 Und als er seine zwölf Jünger herangerufen hatte, gab er ihnen Vollmacht über unreine Geister, sie auszutreiben und jede Krankheit und jedes Gebrechen zu heilen. 2 Die Namen der zwölf Apostel aber sind diese: der erste Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, sein Bruder, und Jakobus, der (Sohn) des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder, 3 Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der (Sohn) des Alphäus, und Thaddäus, 4 Simon, der Kananäer, und Judas, der Iskariot, der ihn auch überlieferte. 5 Diese zwölf sandte Jesus aus und befahl ihnen und sprach: Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samaritaner; 6 geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! 7 Wenn ihr aber hingeht, predigt und sprecht: Das Reich der Himmel ist nahe gekommen. 8 Heilt Kranke, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt!

Texterläuterungen

'Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie', wird in manchen Übersetzungen mit '... hatte er Mitleid' wiedergegeben. Das ist nicht korrekt! Das entsprechende griechische Wort heißt "e-splanchnísthê". In diesem Wort steckt das Hauptwort 'splánchnon', und das heißt: die Eingeweide, die inneren Organe, das Herz. Was irrtümlich mit 'Mitleid haben' übersetzt ist, heißt: jemand versetzt sich in die Lage eines anderen, fühlt sich in seine Gefühle ein und denkt seine Gedanken nach, um zu spüren, was im anderen vorgeht; die Lebenssituation eines Menschen geht jemandem unter die Haut, fährt ihm ins Herz hinein; jemand versteht einen anderen, tritt an die Stelle eines anderen und nimmt wahr, wie es ihm geht. Das setzt voraus, dass sich jemand für einen anderen Zeit nimmt, auf ihn wirklich eingeht, aufmerksam zuhört und einfühlt. Es ist das Gegenteil vom flüchtigen, oberflächlichen 'Vorbeischauen' bei jemandem und das Gegenteil von einem routinemäßigen 'wie gehts?', auf das für eine Antwort gar nicht die Zeit geschenkt wird, oder 'Kopf hoch, wird schon wieder!' oder ähnlichen leeren, unpersönlichen Floskeln.

Das griechische Wort 'mathetés', das hier mit 'Jünger' übersetzt wird, heißt wörtlich 'Schüler' und bezeichnet die meist jugendlichen Anhänger eines griechischen Philosophen, eines orientalischen Weisheitslehrers oder auch eines jüdischen Schriftgelehrten. Die 'Jünger' haben sich ihrem 'Meister', 'Lehrer' (hebräische Anrede: Rabbi = mein Herr, mein Lehrer) angeschlossen und hörten nicht nur dessen Vorlesungen, sondern suchten möglichst lebendigen Kontakt, so dass sie nicht selten zusammen lebten und wohnten.

Die wörtliche Übersetzung für 'Himmelreich' lautet 'Königreich der Himmel' und ist eine Umschreibung des Gottesnamens.

'Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus': Jesus war kein Mediziner und kein 'Wunderheiler' und er gab und gibt denen, die ihm nachfolgen, auch nicht den Auftrag, als Mediziner oder Wunderheiler aufzutreten.

Jesus hat ganzheitlich gedacht und so wie er denkt die Bibel ganzheitlich.

'Kranke' sind Menschen, die alle möglichen körperlichen, seelischen, sozialen, spirituellen und lebensgeschichtlichen Leiden und Schmerzen tragen.

'Kranke heilen' bedeutet demnach, Leiden und Schmerzen im ganzheitlichen Sinn lindern und beseitigen.

'Tote' sind Menschen, deren Leben kein Leben (mehr) ist, lebende Tote.

'Tote auferwecken' besagt demnach, Menschen zu helfen, dass sie (wieder) leben können.

'Aussätzige' sind Menschen, die keiner mag und keiner will, ungeliebte, verstoßene, ausgegrenzte, stigmatisierte Menschen.

'Aussätzige rein machen' heißt demnach, solche Menschen hereinzuholen in die Gemeinschaft und ihnen helfen, dass sie wieder in die Gemeinschaft zurückfinden können.

'Von Dämonen Besessene' sind Menschen, die in allen möglichen Bedrängnissen, Einengungen, Zwängen, Unfreiheiten und Abhängigkeiten stecken.

'Dämonen austreiben' meint demnach, Menschen aus Bedrängnissen, Einengungen, Zwängen, Unfreiheiten und Abhängigkeiten zu befreien und ihnen zu helfen, sich davon zu lösen.

Krankheit, Tod, Aussatz, dämonische Besessenheit sind hier andere Namen für das, was Menschen nicht leben lässt, was Leben einengt, was den Sinn des Lebens und die Freude am Leben verdirbt, mindert oder zerstört.

Gottes Wort ist Hoffnungsbotschaft für uns

Eines Tages kam Jesus,
der hatte einen Zauber in seiner Stimme,
eine Wärme in seinen Worten,
einen Charme in seiner Botschaft.

Eines Tages kam Jesus,
der hatte eine Freude in seinen Augen,
eine Freiheit in seinem Handeln,
eine Zukunft in seinen Zeichen.

Eines Tages kam Jesus,
der hatte eine Hoffnung in seinen Wundern,
eine Kraft in seinem Wesen,
eine Offenheit in seinem Herzen.

Eines Tages kam Jesus,
der hatte eine Liebe in seinen Gesten,
eine Güte in seinen Blicken,
ein Erbarmen in seinen Taten.

Dieser Liedtext, den wir geringfügig geändert haben, bringt es auf den Punkt. Jesus verkündet das Reich Gottes mit seiner Person, mit seinem Wesen, mit seinem Esplanchnísthê, mit seiner Ausstrahlung, mit seinen Blicken, mit seiner Stimme, mit seinen Gesten, mit seinen Worten, mit dem Tonfall seiner Worte, mit seiner Herzenswärme, mit seiner Güte, mit seinen Taten, mit seinem Leben. Jesus lebt, was er sagt. Und er sagt, was er lebt. Es ist wichtig, nicht nur darauf zu achten, was er sagt, sondern vor allem, wie er es sagt, nicht nur darauf zu achten, was er tut, sondern vor allem, wie er es tut.

Seine Person ist Botschaft des Reiches Gottes.
Sein Wesen ist Botschaft des Reiches Gottes.
Sein Esplanchnísthê ist Botschaft des Reich Gottes
Seine Ausstrahlung ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Blicke sind Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Stimme ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Gesten sind Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Worte sind Botschaft des Reiches Gottes.
Sein Tonfall seiner Worte ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Herzenswärme ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Güte ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Taten sind Botschaft des Reiches Gottes.
Sein Leben ist Botschaft des Reiches Gottes.
Sein Sterben ist Botschaft des Reiches Gottes.
Seine Auferstehung ist Botschaft des Reiches Gottes.

Der Begriff „Reich Gottes” bedeutet zum einen die Wertmaßstäbe Gottes, alles, was Gott für gut und richtig hält, zum anderen den Zustand der Ganzheit, der Lebensfülle, der Glückseligkeit, das, wonach wir uns - bewusst oder unbewusst - am allermeisten sehnen.

Jesus lebt das Reich Gottes. So ist er der Lehrer des Reiches Gottes. Wir werden es von ihm und durch ihn leben lernen. Wir werden ihm ähnlich sein. Alle Menschen werden das Reich Gottes leben lernen. Dieses Lernen ist unsere Bestimmung, niemand kann es stellvertretend für uns tun.

Das Reich Gottes wird zuerst in uns, in unserem Inneren verwirklicht. Nach außen kommt nur und kann nur kommen, was in uns ist. Was in ihm ist, strahlt ein Mensch aus und bringt er nach außen. Alles, was äußerlich durch uns in unserer Welt geschieht, ist Spiegelbild unseres Inneren. Heilvolle Zustände in der kleinen und großen Welt sind Spiegelbilder heilvoller Zustände in den Herzen von Menschen. Unheilvolle Zustände in der kleinen und großen Welt sind Wiedergabe unheilvoller Befindlichkeiten in den Herzen von Menschen.

Jesus legt nicht nur speziell Ausgesuchten, sondern allen Menschen in allen Völkern, Rassen, Nationen und Religionen, und ebenso denen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, die Berufung ins Herz, die Wertmaßstäbe seines Abba leben zu lernen.

Jesus ist Lehrer des Reiches Gottes für alle Menschen, einerseits als äußerer Lehrer durch seine Frohbotschaft und andererseits als innerer Lehrer durch seinen göttlichen Geist, der in allen Menschen wohnt. Als innerer Lehrer erreicht er alle Menschen, auch die, die äußerlich von ihm und seiner Botschaft noch nichts gehört haben. Alle sind befähigt, Seelsorge zu lernen und im alltäglichen Leben umzusetzen.