Kommentar zu Matthäus 23, 1-12

Jesus spricht hier zum Volk und zu seinen Schülerinnen und Schülern, nicht gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Er hat mit seinen Worten die Schriftgelehrten und Pharisäer nicht verurteilt. Jesus hat überhaupt keinen Menschen verurteilt. Vielmehr hat er Haltungen aufgezeigt, die dem gelingenden Leben, dem Glück und Heil des Menschen entgegen stehen. Solche Haltungen beschreibt Jesus in diesem Evangeliumsabschnitt. Jeder Mensch kann von solchen Haltungen betroffen sein, nicht nur Schriftgelehrte und Pharisäer.

Das griechische Wort für "Stuhl" heißt "káthedra" und hat die Bedeutungen: Stuhl, Sessel, Sitz, Lehrstuhl. Als "Stuhl des Mose" wurde in den Synagogen ein steinerner Ehrensessel bezeichnet, auf den sich die Schriftgelehrten bei der Auslegung des Gesetzes des Mose und der anderen Schriften des Alten Testamentes setzten. Es war das Zeichen ihrer religiösen Lehrautorität. Die Schriftgelehrten der Juden galten zur Zeit Jesu als die berufenen Autoritäten in allen Fragen des Gesetzes und damit der Religion und des bürgerlichen Rechts. Seit der Priester Esra nach dem babylonischen Exil das Gesetzesstudium so gerühmt hatte, waren immer mehr Leute aus allen Schichten des Volkes dem nachgekommen und bildeten den Stand der Gelehrten, Gesetzeskundigen, Gesetzeslehrer. Sie hießen Weise und ließen sich mit Rabbi, (= Lehrer, Meister) oder mit "Vater" anreden. Mancher übte nebenbei noch einen bürgerlichen Beruf aus. Sie standen nicht nur der Partei der Pharisäer nahe, sondern saßen auch im Synédrium (= dem Hohen Rat; das war die höchste Gerichts- und Verwaltungsbehörde in Jerusalem). Reichten die Bestimmungen des mosaischen Gesetzes nicht aus, dann wurden durch Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Lehrern neue Bestimmungen geschaffen. Durch Begriffsspalterei, die sie sich bezahlen ließen, durch Überheblichkeit gegenüber den weniger oder gar nicht Gesetzeskundigen, durch heuchlerische Gesetzesfrömmigkeit und Ehrsucht hatten sie in den Augen Jesu ihre Führungsaufgabe missbraucht.

Esra war nach der biblischen Erzählung des Alten Testaments Priester und Nachkomme des ersten Hohepriesters Aaron. Er lebte nach der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft im persischen Weltreich und gehörte zur jüdischen Gemeinde, die zum Teil noch in Babylon lebte, aber durch das Edikt von König Kyros auch schon zu einem großen Teil wieder nach Palästina heimgekehrt war. Esra hatte am persischen Königshof das Amt eines Staatssekretärs für religiöse Angelegenheiten der Juden inne. Mit Vollmachten ausgestattet zog Esra etwa 458 v. Chr. nach Jerusalem.

Babylonisches Exil ist die Bezeichnung einer Epoche der Geschichte Israels. Sie begann 598 v. Chr. mit der Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnézar II. und dauerte bis zur Eroberung Babylons 539 v. Chr. durch den Perserkönig Kyros II. Ein Großteil der Bevölkerung Jerusalems, vor allem die Oberschicht, wurde - wie es babylonische Praxis war - nach Babylon verschleppt und dort angesiedelt.

Die Pharisäer (= die Abgesonderten) gehen ihrer Idee nach auf die Reform Esras und Nehemias zurück, die eine Abschottung der Juden von der heidnischen Umwelt (Perserherrschaft) anstrebte, indem sie die mehr äußerlichen Gesetzesforderungen betonte, so dass mit der Zeit die von den Propheten geforderte Liebe zu Gott und den Mitmenschen zurücktrat und eine veräußerlichte Gesetzesfrömmigkeit aufkam. Was die Schriftgelehrten als Willen Gottes aus dem Gesetz des Mose herauslasen und als das ungeschriebene Gesetz verkündeten, wurde von Pharisäern praktisch verwirklicht. Doch bildeten sie keinen eigenen Berufsstand, es konnte sich ihnen jeder anschließen, der diesem Frömmigkeitsideal, das sich bald als das jüdische durchsetzte, anhing. Im letzten Jahrhundert v. Chr. wurden die Pharisäer auch eine politische Partei und Macht.

Nehemia war ein babylonischer Jude. 444 v. Chr. wurde Nehemia zum Statthalter von Juda ernannt. Er sorgte dafür, dass die Stadtmauern von Jerusalem wieder aufgebaut wurden, und er entwarf eine Reform der religiösen Vorschriften. Für die Durchsetzung der Reformen sorgte der Priester Esra. Zentrale Aspekte seiner Reform waren die Einhaltung des Sabbath, das Verbot, nichtjüdische Frauen zu heiraten, und die Erhebung des Zehnten.

Die schweren Lasten sind die vielen Gebote und Verbote und Bestimmungen, die die Schriftgelehrten aus dem Alten Testament, vor allem aus dem Gesetz des Mose, ableiteten. Sie machten das ursprüngliche Gebot Gottes (= die Zehn Worte) für die gewöhnlichen Leute kompliziert und zur Qual. Zur Zeit Jesu gab es 613 solcher Vorschriften (365 Verbote und 248 Gebote) und dazu etwa 2000 Bestimmungen. Wie sollten sich die Menschen, von denen die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, diese Fülle von Vorschriften einprägen?!

Bei den Gebetsriemen handelt es sich um die Tefillín (hebräisches Wort). Das sind ein Paar schwarze lederne Gebetskapseln mit Lederriemen, die verschiedene Schriftrollen mit eingeschriebenen Bibelversen (Texte aus dem Gesetz des Moses) enthielten. Sie wurden an Stirn und Arm und Hand getragen und dienten als Zeichen der Erinnerung, dass Gott das israelitische Volk aus der Versklavung in Äpypten befreit hat, und an die Gebote Gottes. Nach jüdischer Bestimmung sollten sie von Juden wochentags beim Morgengebet getragen werden.