Der Jünger, den Jesus liebte

Johannesevangelium 21, 1–25

Nur der Verfasser des vierten Evangeliums erwähnt in seinem Evangelium an fünf Stellen „den Jünger, den Jesus liebte”.

Der Jünger den Jesus liebte, lag beim letzten Abendmahl an der Seite Jesu. Beim Essen lag man damals bei Tisch. Er stand mit Maria der Mutter Jesu unter dem Kreuz Jesu. Und Jesus vertraute die beiden einander an. Er ist der Jünger, der auf Grund der leeren Grabkammer Jesu als erster Jünger zum Glauben an die Auferstehung Jesu fand. Er war dabei, als sich der auferstandene Jesus am See Genesareth einigen Jüngern offenbart hat. Dazu später mehr.

Wer ist der Jünger, den Jesus liebte? In dieser Frage gehen die Ansichten und Vermutungen der Bibelwissenschaftler weit auseinander. Er war wahrscheinlich ein Jünger Jesu, der beim letzten Abendmahl dabei war, aber nicht zum Apostelkreis gehört hat. Jesus hat das letzte Abendmahl wohl nicht nur mit den zwölf Aposteln eingenommen, sondern mit einem größeren Kreis von Jüngern. Der Jünger, den Jesus liebte, war mit Sicherheit ein Mensch, der Jesus sehr nahe stand. Vielleicht war er ein Sohn jener Familie, die Jesus den Raum für das letzte Abendmahl zur Verfügung gestellt hat. Mag sein, dass sich Jesus öfter in dieser Familie aufgehalten hat, und dass eine besonders innige Beziehung zwischen Jesus und ihm entstanden ist. Das würde erklären, dass ihm alles, was mit Jesus in Jerusalem geschehen ist, wohlbekannt war. Vermutlich lebte er später in einer christlichen Gemeinde außerhalb von Jerusalem irgendwo in Palästina und genoss dort auf Grund seiner Erfahrungen mit Jesus große Anerkennung. Es ist naheliegend, dass auch der Verfasser des vierten Evangeliums zu dieser Gemeinde gehört und durch ihn Kenntnis von Jesus erhalten hat. Denn zweimal beruft er sich in seinem Evangelium auf das Zeugnis des Jüngers, den Jesus liebte. Er führt ihn gleichsam als Bürgen an, dass sein Evangelium der Wahrheit entspricht.

In diesem Evangelium kommt der Jünger, den Jesus liebte, zweimal vor. Zum einen erfasst er als erster, veranlasst durch den überaus erfolgreichen Fischfang, dass der auferstandene Jesus ihnen nahe ist. Zum anderen erkundigt sich Petrus im Gespräch mit dem auferstandenen Jesus, welche Zukunft diesem Jünger bevorstehe. Und Jesus fordert Petrus auf, sich nicht darum, sondern um seine eigene Christusnachfolge zu kümmern. Damit schreibt der Verfasser des Evangeliums dem Jünger, den Jesus liebte, eine Eigenständigkeit und besondere Bedeutung zu.

Was können wir von dem Jünger, den Jesus liebte, für unseren Glauben lernen? Offensichtlich bestand zwischen ihm und Jesus eine innige Verbindung von Herz zu Herz. Er hat schon dem irdischen Jesus sein Herz geöffnet. Diese Innigkeit hat ihn befähigt über das irdische Leben Jesu hinauszuschauen und mit dem Herzen zu erfassen, Jesus lebt und geht in neuer Weise jeden Weg mit uns. Zum irdischen Jesus können wir heute im dritten Jahrtausend keine Beziehung aufbauen, wohl aber zum auferstandenen. Denn er ist in gleicher Weise bei uns wie nach seiner Auferstehung bei den Menschen des ersten Jahrhunderts. Wenn wir ihm unser Herz aufmachen so wie der Jünger, den er liebte, werden auch wir mit dem Herzen erkennen: Jesus ist da. Er segnet unser Leben und lässt es gelingen, so wie er auch das Leben und Wirken der ersten Jünger mit Segen gekrönt hat, was der Verfasser mit dem Bild des erfolgreichen Fischfangs zum Ausdruck bringt.