Anders sehen

Johannesevangelium 9, 1–41

„Schön für den Mann, der blind geboren worden ist, und dem Jesus das Augenlicht gegeben hat, aber was haben wir davon?”, fragen die unzähligen Blinden der letzten zweitausend Jahre, deren Augen zeitlebens oder über lange Zeit verschlossen geblieben sind.

„Schön für den Mann, der blind geboren worden ist, und dem Jesus die Augen geöffnet hat, aber was bedeutet diese Nachricht für uns?”, fragen die Millionen Sehenden der Jahrhunderte seit damals.

Diese Fragen stellen auch wir. Wollte der Verfasser des Evangeliums damit eine Schlagzeile liefern denen, die gerne von Sensationen, von außergewöhnlichen Ereignissen und sogenannten unerklärbaren Wundern hören und lesen? Das ist es wohl nicht. Wollte Jesus mit dieser Heilung von sich reden machen, beeindrucken und Bewunderung hervorrufen? Wollte er damit sagen: Seht her, was ich kann? Das ist es wohl auch nicht.

Die Verfasser der Evangelien überliefern uns Worte und Taten Jesu und keine Klatsch- und Tratschgeschichten. Jesus ging es in seinem öffentlichen Wirken um grundlegend Wesentliches, um zeitlos Gültiges und Lebenswichtiges. Das Evangelium ist Gute Nachricht und Frohe Botschaft für alle Menschen zu allen Zeiten.

Wir fragen: Worin liegt das Frohmachende für uns in der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen?

Wir sehen uns selber, unser Leben und die uns umgebende Welt, und alles, was in unserem Leben und in der Welt geschieht, nicht wie es wirklich ist, sondern wir sehen es mit unserem ganz persönlichen Blick und durch unsere ganz persönliche Brille: entweder dunkel und düster, unheilvoll, schwarz und trostlos, verneinend, hässlich und schlecht oder hell und licht, bunt, farbenfroh und voll Hoffnung, bejahend, schön und gut.

Zwei Fotokameras treffen sich und kommen ins Gespräch miteinander. Da fragt die eine Kamera die andere: „Du, sag mir jetzt einmal, wie kommt es, dass deine Bilder immer eine so erstklassige Qualität haben. Deine Fotos sind gestochen scharf, und außerdem kommen bei deinen Bildern die Farben ganz natürlich und echt heraus. Wie machst du das? Obwohl ich mir so viel Mühe gebe, sind meine Fotos immer etwas unterbelichtet und verschwommen.” Da antwortet ihr die andere Kamera: „Die Erklärung liegt auf der Hand und ist ganz einfach. Es kommt einzig und allein auf die Einstellung an.”

Jesus hat sich, sein Leben und die Welt betrachtet als von Gott mit unendlichen Gnaden ausgestattet, mit grenzenlos bejahender Zuneigung von ihm beschenkt, in ihm geborgen und von ihm gehalten und getragen, und für das Ziel der Ganzheit und vollendeten Glückseligkeit bestimmt. In der ganzen Schöpfung und in allen Geschöpfen hat er die Spuren von Gottes Schönheit und Herrlichkeit gesehen. Er war zutiefst erfüllt von dem Glauben, dass in allem ein tiefer Sinn und ein großer Schatz für unsere Entwicklung liegt, auch in dem, was wir negativ bewerten. Und er war beseelt von der Zuversicht und dem Vertrauen, dass Gott letzten Endes für den guten Ausgang von allem sorgt.

Diese Sichtweise können wir - ob körperlich blind oder sehend - von Jesus lernen. Wenn wir auf ihn schauen, bei ihm in die Schule gehen und uns von ihm berühren lassen, dann öffnen sich unsere Augen, die inneren Augen, die Augen des Herzens,