Abba

Die vier Evangelien beinhalten insgesamt sieben letzte Worte, die Jesus vor seinem Sterben am Kreuz gesprochen hat.

Das Matthäus- und Markusevangelium überliefern nur das eine Wort, das am Beginn des alttestamentlichen Psalms 22 steht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mt 27,46; Mk 15,34).

Das Lukasevangelium gibt diese drei Worte weiter: „Abba, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun” (Lk 23,34), „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein” (Lk 23,43) und das Wort des alttestamentlichen Psalms 31: „Abba, in deine Hände lege ich meinen Geist.” (Lk 23,46).

Und der Verfasser des Johannesevangeliums übermittelt ebenfalls drei Worte: „Frau, siehe dein Sohn! Siehe, deine Mutter!”, „Mich dürstet” und „Es ist vollbracht!”.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Jesus diese Worte am Kreuz tatsächlich gesprochen hat. Eher haben die Autoren der Evangelien sie ihm in den Mund gelegt. Denn ein Gekreuzigter ist nicht imstande etwas zu sagen, weil er sich ständig in äußerster Atemnot befindet und dem Ersticken nahe ist. Der Bauchraum des am Kreuz Hängenden drückt tief in den Brustraum und macht das Atmen zu einer sehr beschwerlichen und mühsamen Angelegenheit und deshalb das Sprechen unmöglich.

Außerdem ist kaum anzunehmen, dass Jesus in seiner Sterbestunde einen fremden Psalmenbeter zitiert hat, viel eher ist da etwas Ureigenes, ganz Persönliches aus seinem Innersten gekommen.

Wenn Jesus am Kreuz überhaupt noch ein Wort hervorgebracht hat, dann war es sehr wahrscheinlich nur ein einziges Wort, das er in seinen Schmerzen und in seinem Stöhnen und seinem qualvollen Ringen nach Luft vielleicht noch mehrere Male ausgestoßen oder - treffender gesagt - geatmet hat. Und das war „Abba”.

„Abba” war das Kosewort, mit dem Jesus Gott angesprochen hat, Papa, Vati. Dieses Wort drückte die Innigkeit der Beziehung aus, die Jesus mit Gott verbunden hat. Mit seinem Abba hat er in seinen Gebeten gesprochen. An seinen Abba hat er sich gewendet, wenn ihm schwerwiegende Entscheidungen bevorgestanden sind. Zu seinem Abba hat er gerufen und geschrien in seinen Ängsten und seiner Todesnot. Mit dem Wort „Abba” hat er sein Leben ausgehaucht.

Oft kommt Sterbenden zuletzt noch ein wiederholtes „Mama” über die Lippen. Mama ist der Inbegriff für Beheimatung, für Daheim sein oder nach Hause kommen. Mama steht für gut Aufgehoben und Geborgen sein, für Sich beschützt und sicher fühlen. Damit bringen Sterbende ihr Vertrauen zum Ausdruck, dass sie nun heimgehen in die ausgebreiteten Arme und den ewigen Mutterschoß Gottes.

Bei Jesus war es in seinem Todeskampf und seinem Sterben nicht anders. Er war immer, auch in den schwersten Augenblicken seines Lebens, erfüllt vom Vertrauen, von seinem Abba nicht verlassen, sondern getragen und gehalten zu sein und nie tiefer zu fallen als in den Mutterschoß seines Abba und immer aufgefangen zu werden von den Armen seines Abba.